Gelsenkirchen. Die Rolling Stones fanden es in Gelsenkirchen „schön, wieder im Pott zu sein“ – über 45.000 fanden das auch und hatten „Satisfaction“.
Silber-, Sternen-, Licht-, Fahl-, Maus-, Hell-, Mittel-, Dunkel-, Beton-, Asch-, Tauben-, Schiefer-, Silber- und auch Rauchgrau: Wenn die Stones anrollen, kommen alle haarigen Schattierungen dieser Nichtfarbe zum Auftritt, manchmal auch meliert oder halb getönt. Und Konzert-T-Shirts aus den 80ern, als sie noch deutlich weniger spannten überm Bauch. Und als man vielleicht zum ersten Mal dachte: Besser, du gehst jetzt zu den Stones, könnte ja sein, dass das ihre letzte Tour ist. Und heute? Könnten sie eine Abschiedstournee ankündigen, und man würde ungläubig abwinken: Wie soll das denn gehen?
Mick Jagger feierte am Vorabend seinen 79. Geburtstag in Düsseldorf
Mick Jagger, der am Dienstag noch seinen 79. Geburtstag in einem Düsseldorfer Hotel mit einer Entourage in Dirndl und Lederhosen gefeiert hatte, weil man ja in Deutschland war, kann noch so viel joggen – was er aber eigentlich braucht, ist der Auslauf vor Zehntausenden, denen er auf dem 70-Meter-Laufsteg beweist, dass manche ihren Sex-Appeal eben doch über die Pensionsgrenze retten können. In der fast ausverkauften Schalke-Arena waren es am Mittwochabend über 45.000, die aufjubelten, als das unverkennbare Riff von „Street Fightin‘ Man“ aus den Boxen dröhnte: Was kann ein armer Junge auch andres machen als Rock‘n‘Roll spielen? Nun, er kann sich ein königsblaues Glitzerjäckchen überwerfen und rufen: „Guten Abend, Gelsenkörshen, gluckauf!“ Und noch mal mehr Jubel kassieren. Irgendwer hat mal gesungen, sich Liebe nicht kaufen zu können, aber mit Applaus ist das noch viel schwieriger.
„Let‘s spend the Night Together“, ach Mick, das viele Jagger-Jogging hat sich doch gelohnt! Du hüpfst, springst, stolzierst wie ein junger Gockel. „Toll, auf Schalke zu sein!“ Und wie Du lasziv auf uns zeigst und winkst („Baby, Baby, You‘re Out of Time“), hast Du uns im Handumdrehn um den Finger gewickelt. Und wie Du diese alte, schöne Freiheits-Ballade „Wild Horses“ zelebrierst, mit Armen weit offen, als solle die ganze Welt darin Platz finden und Liebe und Geborgenheit, da gehörten wir schon wieder alle zusammen, mit unseren Träumen zumindest. Und dann der Trost gegen die bittere Realität: „You Can‘t Always Get What You Want“, tja – es geht uns ja allen so, am Ende womöglich sogar einem Mick Jagger….
Mick Jagger sagt tatsächlich: „Schön, wieder im Pott zu sein!“ – auf Deutsch!
„Schön, wieder im Pott zu sein!“ – Bei aller britischen Höflichkeit, aber wer mag ihm solche Ranschmeißer-Sätze einflüstern? Na, dafür tritt er zum hübsch verbluesrockten Disco-Knaller „Miss You“, mit dem sie – Hüftschaden hin oder her – das ganze Stadion auf die Beine holen, in einem gelb-schwarzen Jöppchen an! Vielleicht ein Versuch der Völkerverständigung. Jagger wird später stolz betonen, dass es das 117. Konzert der Stones auf deutschem Boden ist. Am 3. August folgt in Berlin Nr. 118.
Und Keith Richards, dieser coolste Kerl südlich der Arktis-Eisberge? Da kann er sich etwa bei „Ghost Town“ noch so sehr in den Saiten vergreifen, sein Grinsen bleibt breit wie ein Palmwipfel. Und womöglich stellt er sich vor, wie sie mit einer so vitalen, an- und ausziehenden Version von „Honky Tonk Woman“ mal eines Tages den Papst locker machen oder sowas. Seine beiden obligatorischen Solo-Einlagen, die Mick die Chance zum gemütlichen Umziehen geben, genießt er wie ein Schneekönig.
Oder auch den innig zelebrierten „Midnight Rambler“, der noch einmal hören lässt, dass hier nicht nur die älteste Bluesrock-Kapelle des Planeten das 12-Takt-Schema zelebriert, sondern auch eine der besten. „Paint It Black“, „Gimmie Shelter“ (mit der grandiosen Tina-Turner-Nachfolgerin Sasha Allen), „Jumpin’ Jack Flash“, zwei Zugaben („Sympathy For The Devil“ mit höllisch guter Bühnen-Illumination sowie das unverzichtbare „Satisfaction“), Abgang und – hach, auf Wiedersehen!