Essen. Das große Bücherfest des Ruhrgebiets wird sieben. Matthias Brandt als Stimme Max Frischs war einer der Coups zur Eröffnung der lit.Ruhr
Zufall, Schicksal oder Fügung? Am Tag der Eröffnung des 7. Internationalen Literaturfests „<Lit.Ruhr“ jährt sich jedenfalls der Todestag der Protagonistin, die gleich im Mittelpunkt der Veranstaltung in der Essener Lichtburg stehen wird, zum 50. Mal: Ingeborg Bachmann, eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaautorinnen des 20. Jahrhunderts, starb 47-jährig am 17. Oktober 1973. Die begnadete Schriftstellerin aus Klagenfurt, Preisträgerin der legendären „Gruppe 47“ und „Cover-Star“ des „Spiegel“, und ihr großer Schweizer Kollege Max Frisch bildeten eines der bekanntesten Paare der deutschsprachigen Literatur. Der Briefwechsel zwischen den beiden, vor Jahresfrist unter dem Titel „Wir haben es nicht gut gemacht“ (Suhrkamp Verlag) erschienen, legt Zeugnis ab von einer offenen Beziehung, die 1958 euphorisch begann, die in vier Jahren immer mehr ins Zerstörerische abglitt und schließlich in einer Entfremdung voller Kälte und Distanz mündete.
Lit.Ruhr in Essen und Umgebung, ein großes Lesefest noch bis 22. Oktober
Einige Literaturfreunde haben sich, das kann man den Gesprächsbrocken im Lichtburg-Foyer entnehmen, am Vortag schon auf die anstehende Lesung eingestimmt. Da wurde an gleicher Stelle Margarethe von Trottas Film-Adaption „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ gezeigt. Jetzt ist der historische Filmpalast erstaunlich gut besucht. Nicht ganz so gut wie in den beiden Vorjahren, als mit Frank Schätzing und Joachim Meyerhoff zwei aktuelle Erfolgsautoren das Literaturfest eröffneten.
Dagegen ist der historische Briefwechsel zwischen Frisch und Bachmann schon sehr speziell, eher etwas für Kenner und Liebhaber sowohl der Protagonisten als auch dieses Literatur-Genres. Vielleicht ist es ein Promi-Bonus, der nun fast 1000 Besucher in die Lichtburg gelockt hat. Wann kann man schon einmal den Schauspiel-Star Matthias Brandt live erleben? Brandt, der für seinen Einsatz für die deutsche Sprache schon mit der Carl-Zuckmayer-Medaille ausgezeichnet wurde, leiht Max Frisch seine Stimme. Sein Gegenüber als Ingeborg Bachmann ist die 33-jährige österreichische Schauspielerin Sophia Burtscher, die einige Jahre dem Kölner Schauspiel-Ensemble angehörte und durch ihre Hauptrolle in der Netflix-Serie „King of Stonks“ einem breiteren Publikum bekannt geworden ist.
Matthias Brandt fasziniert zur Eröffnung der Lit.Ruhr als Stimme von Max Frisch
„Wir brauchen die Darstellung des Mannes durch die Frau, die Selbstdarstellung der Frau.“ Einer der ersten, später in der seiner Erzählung „Montauk“ (1975) wieder auftauchenden Sätze, die Frisch 1958 an Ingeborg Bachmann schreibt. Der 15 Jahre ältere, längst arrivierte Autor, gerade mit Inszenierungen von „Biedermann und die Brandstifter“ befasst, hat das Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ gehört, ist begeistert von der „jungen Dichterin“ und möchte sie kennenlernen. Der nächste Brief, im Juli 1958 in Paris geschrieben, überspringt Bachmanns Reaktion. Da ist er glücklich, ratlos, „nicht verliebt, aber erfüllt von Dir“. Während er über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit sinniert, mit einer Frau zu leben, verzweifelt sie in ihrem Freiheitsdrang an der Ungeheuerlichkeit, zusammen zu leben. Diese Vorstellung allein ist schrecklicher als die Realisierung. Er kann nicht beziehungslos leben, Liebe soll das Alleinsein auflösen, sie möchte nur lieben und geliebt werden, was er „narzisstische Liebe“ nennt…
Sophia Burtscher, meist über den Text gebeugt, erfüllt Ingeborg Bachmanns Briefe mit Leben und Leidenschaft, während Matthias Brandt geradezu die unmittelbare Ansprache sucht, mit Blicken, kleinen, ganz natürlichen Gesten die Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit seiner Überlegungen unterstreicht. Dieser faszinierende Wechsel der Positionen und Erwartungen, in denen es um Nähe und Distanz geht, um Eifersucht, Verlustängste und Fluchtimpulse, unterschiedliche Lebensentwürfe, aber auch um ganz konkrete Probleme wie das Arbeiten in einer gemeinsamen Wohnung und das damit verbundene Spannungspotenzial, hat dank Matthias Brandt und Sophia Burtscher irgendwann eine irritierende Wirkung. Dieser Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachman und Max Frisch ist dann nicht länger literatur-„historisch“. In ihm ist, wie in jeder großen Literatur, einfach das Leben gespiegelt.