Essen. Oft musste er als Musiker on Tour seine Kinder allein lassen. So schuf Max Mutzke ein Ritual, dass er jetzt auf Essens Literaturfest vorstellt.

Wer ist schon gelernter Kinderbuchautor? Aber mindestens darf man den Sänger Max Mutzke als Papa von vier Kindern Experte nennen, was das Geschichtenerzählen an der Bettkante und anderswo betrifft. Vor dem Auftritt mit seinem Buch-Debüt in Essen sprach Lars von der Gönna mit ihm – über Helden, die Macht der Fantasie und Lesen als Säule der Demokratie.

Reisen wir in die Zeit, als Sie das Kind waren: Sind Sie noch Generation Grimms Märchen oder war das schon Benjamin Blümchen und Co?

Max Mutzke: Ich bin gerade im Wechsel großgeworden. Benjamin Blümchen oder die Buchfassungen großer Disney-Streifen gab es genauso wie die Grimms und geliebte Klassiker wie „Raupe Nimmersatt“. Ob Erich Kästner oder „Die kleine Hexe“: Ich hab’ ganz viel Literatur für Kinder hören und lesen dürfen. Es war zu meiner Zeit ja auch noch nicht so umstritten, Kindern die grausamen Grimms aufzutischen oder den Erziehungs-Wahnsinn namens „Struwwelpeter“ (lacht).

Hat ein Held Ihr Herz in dieser Zeit ganz besonders erobert?

Jim Knopf lag schon weit vorn. Das lag an meinem Lieblingsmenschen – das war mein Großvater, ein Mann mit großem Vollbart, robustem Auftreten und tatsächlich Lokomotivführer gewesen, sogar noch von den alten Dampfloks. Da kam ich mir beim Lesen vor, als würde ich mit meinem Opa rum fahren mit der alten dicken Emma. Aber auch Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga waren große Lieblinge.

Max Mutzke stellt sein Buch in Essen vor. Karten gibt es für 9 Euro

Warum diese beiden?

Die spiegelten meine Kindheit im Schwarzwald sehr schön, das war ziemlich bullerbümäßig. Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, hat man zum Spaß echt „Villa Kunterbunt“ genannt. Es gibt wirklich Kinderfotos von mir, da seh’ ich aus wie der Michel. Es gab viele Parallelen: das Frechsein, das Blödsinnmachen, das Verstecken im Holzschuppen, das Schnitzen...

Sie setzen in Ihrem Buch ganz auf die Freiheit der Fantasie: Seen aus Wackelpudding oder Pommes, die wie Bäume aus der Erde wachsen...

Ja, Fantasie ist der große Appell. Aber ich will bei der Antwort einen kleinen Umweg machen. Ich mache ja kein Geheimnis daraus, dass meine Mutter alkoholkrank war und, dass wir dem als Kinder sehr ausgesetzt waren. Aber bei all dem gilt meine Liebe ihr auch deshalb, weil sie wahnsinnig schön Fantasie erwecken und fördern konnte.

„Komm mit ins Paradies der Träumer“, live auf Zollverein am 21.10., 15h

Haben Sie ein Beispiel?

Sie hat noch meinen Kindern verrückte Geschichten erzählt, etwa von Elefanten, die sich in Stubenfliegen verlieben – mit dem Ergebnis, dass deren Kinder kleine fliegende Elefanten sind. Ich fand das erst absurd, aber in den Augen meiner Kinder sah ich dann, was in den Köpfen passiert. Wenn das Herz und die Fantasie stimmen, dann lieben Kinder erfundene Welten, da darf sich dann auch ein Mülleimer in einen Heizkörper verlieben...

Ihr „Paradies der Träumer“ fußt auch auf Max Mutzkes Abwesenheit daheim: Auf Tour erfanden Sie das Ritual, sich mit ihren Kindern im Traum zu treffen, um wenigstens dort Zeit miteinander zu verbringen...

Ja. dort haben wir uns echt verabredet, mal am Marshmallowberg mal am Schokoladenbaum. Jede Familie braucht Rituale, aber weil ich so viel unterwegs war, waren sie ganz besonders nötig. Auch der „Ohrenbus“, mit dem meine Kinder mich, wenn ich zu Hause war, auf meinen Schultern sitzend an meinen Ohren durchs Haus bis zum Bett gelenkt haben. Bei uns wurde so das Zubettbringen, was bei vielen reiner Stress ist, ein herrliches Spiel.

Max Mutzke im Interview: „Ein lesendes Volk ist ein mitmenschliches Volk“

Noch einmal zum Vorlesen: Da zählen Sie heute fast zu einer Elite. Die Entwicklung in deutschen Familien ist dramatisch. Mehr als ein Drittel der Eltern liest nicht mehr vor.

Sehr bitter. Wir müssen die Kinder wieder mehr ans Lesen bringen. Das ist eine Investition in die Zukunft! Ein lesendes Volk ist ein liberales und ein mitmenschliches, demokratisches, tolerantes Volk. Ihnen als Journalist muss ich nicht sagen, wie nötig wir das in diesen Zeiten haben.

Eine Frage zu Ihrem Besuch auf der Lit.Ruhr in Essen: Bekannt geworden sind Sie ja nun nicht als Kinderbuchautor. Springt also auf Zollverein doch mehr aus der Tüte als der Vorleser Max Mutzke?

In der Tüte ist ganz bestimmt viel mehr. Ich glaube, das wird wirklich schön: Ich ignoriere die Erwachsenen fast, ich rede nur mit den Kindern und wir singen zusammen, auch mein Pianist ist dabei. Eines wird es ganz bestimmt nicht: langweilig.

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ALLE INFOS ZU MUTZKES AUFTRITT UND DEM BUCH

Selbst Maximilian Nepomuk Mutzkes (42) Durchbruch in der Welt der Musik war nicht kalkuliert. Er stand dem Casting-Rummel deutscher TV-Sender skeptisch gegenüber, so dass ein Freund ihn 2004 anmeldete für Stefan Raabs Suche nach dem idealen Grand-Prix-Kandidaten. Am Ende stand für Mutzke zwar nicht die europäische Trophäe, aber immerhin Platz acht in Istanbul, was fürs Abschneiden deutscher Interpreten doppelt achtbar ist. Seither hat der gebürtige Schwarzwälder sich von eigenen Alben über Auftritte mit Klaus Doldinger oder Götz Alsmann, vom Moderator bis zum „Masked Singer“ immer neu erfunden.

Sein Kinderbuch „Komm mit ins Paradies der Träumer“ stellt er in einer musikalischen Lesung mit seinem Pianisten Nick Flade am Samstag, 21. Oktober, 15 Uhr, bei der Lit.Ruhr in Halle 12 auf Zeche Zollverein in Essen vor. Karten gibt es für 9 Euro unter www.litruhr.de, an der Tageskasse für 10 Euro. Wer den Auftritt versäumt: Zeitgleich zum Buch ist ein Hörversion erschienen – und Mutzke zeigt sich als mitreißender, extrem begabter Sprecher. Die CD (ca. 65 Min, ungekürzt) ist geeignet für Hörer ab 5 und beim Argon Sauerländer Audio-Verlag erschienen. Das Buch (geb.) kostet 16 Euro, ebenfalls Sauerländer Verlag.