Essen. Hörbuch-Sprecher Rufus Beck staunt auch nach 25 Jahren noch über Harry Potter. Und über J.K. Rowling, die er mal auf Tournee überrumpelt hat.
Kaum zu glauben: Harry Potter wird 25. Der Zauberlehrling ist längst aus dem Internatsalter raus. Im Sommer 1998 erschien im Carlsen Verlag das erste der sieben Bücher, mit denen die Autorin Joanne K. Rowling die ganze Welt verzauberte und eine regelrechte Potter-Manie auslöste.
Um Zauberei, Fabelwesen und Abenteuer geht es in den Büchern allerdings nur vordergründig – in ihnen stellt sich ein Kind, ein Jugendlicher die großen philosophischen Lebensfragen: Wo komme ich her? Wie lebe ich mein Leben? Was ist der Sinn des Lebens? Wie werde ich glücklich? Was ist meine Aufgabe? Wie bleibe ich bei mir? Das Hinterfragen ist genauso eine Potter-Eigenschaft wie das Zaubern und Weltretten. Und all diese Grundfragen hat Joanne K. Rowling in ihren großen, siebenbändigen Roman über das Erwachsenwerden, über das Entlassenwerden in die Welt hineingewebt.
Am Erfolg auf dem deutschen Markt nicht ganz unbeteiligt war Rufus Beck, der alle Romane als Hörbücher aufnahm. Peter Zander befragte den 66-Jährigen zu seinem Leben mit der Hogwarts-Welt.
Herr Beck, was bedeutet es für Sie, dass der Beginn von Harry Potter jetzt ein Vierteljahrhundert her ist?
Rufus Beck: Man begreift die Dinge immer erst im Rückblick. Auch Erfolge. „Harry Potter“ ist eine Wundergeschichte! Da wurden so viele Regeln gebrochen. Jeder Lektor hätte sich die Haare gerauft. Sieben Bücher schreiben, bei denen die Figuren immer älter werden. Da muss man doch beim „Kleinen Nick“ bleiben, der ist immer acht und bleibt das auch. Aber Frau Rowling bestand darauf. Und setzte auch durch, dass ein Verlag alle sieben Bücher unter Vertrag nahm, auch wenn die noch gar nicht geschrieben waren. Sie hätte ja auch eine Schreibblockade haben können. All das ist so unglaublich. Aber so ist es eben: Die großen Erfolge können nicht geplant werden. Die kommen out of the Blue.
Sie haben alle Hörbücher gelesen. Über zehn Jahre, eine Laufzeit von insgesamt 137 Stunden. Wie sind Sie eigentlich damals in diesem Universum gelandet?
Auch so eine Wundergeschichte. Dass da so ein Beck kommt und einfach seins machen darf. Heute würde ein großer Konzern dahinterstehen und darüber wachen, dass das überall gleich klingt, in Deutschland wie in Indien. Wiederverwertbar, aber irgendwie langweilig.
Der Verlag machte Ihnen keine Vorgaben?
Keine. Ich hatte Narrenfreiheit. Als ich die ersten Hörbücher aufnahm, gab es diesen ganzen Hörbuchboom ja auch noch gar nicht.
Der fing ja vielleicht überhaupt erst mit Ihren Harry-Potter-Hörbüchern an.
Der wurde definitiv durch sie ausgelöst, und alle habe davon profitiert. Wer keine Lust auf meine Hörbuch-Interpretation hat, der liest halt das Buch. Und wem das zu dick ist, der schaut sich den Film an. Toll ist doch, dass alle drei Medien vollkommen unterschiedlich sind.
Sie waren mit Joanne K. Rowling im Jahr 2000 auf einer Deutschlandtournee. Wie war das für Sie, wie war das für die Autorin?
Wir sollten beide ganz klassisch lesen, ich eine Viertelstunde Deutsch, sie eine Viertelstunde Englisch. Aber ich fand, das geht nicht. Da sind ja Kinder dabei, die können kein Englisch. Also habe ich eine Strichfassung gemacht, ein absolutes No-Go. Wer lässt sich in seinem Text rumstreichen! Wir haben uns erst eine halbe Stunde davor getroffen. Und ich habe sie total überrollt, dass wir beide gleichzeitig performen, und die Teile orange angestrichen, die sie auf Englisch lesen sollte. Ich würde dann auf Deutsch weiterlesen. Sie hat wohl gedacht, ich wäre komplett verrückt. Aber sie hatte keine Zeit mehr, etwas dagegen zu tun. Später, viel später dachte ich mir: Wie übergriffig! Aber ich war überzeugt, dass es der Sache dient. Das wollte ich ja immer mit den Hörbüchern: eine Show für die Leute machen. Andere sagen, sie seien Schauspieler. Ich sag immer: Ich bin im Showbusiness. Das war dann auch ein großer Erfolg. Und sie hat es mir nicht übel genommen.
Harry Potter feiert 25-Jähriges. Sie sind bei der Jubiläumsfeier in Hamburg mit dabei. Wird es noch weitere Potter-Veranstaltungen mit Ihnen geben?
Ich würde es mir wünschen. Ich war früher lange mit einem Harry-Potter-Programm unterwegs, auch in großen Häusern wie dem Berliner Ensemble. Aber als Warner Bros. sich die Filmrechte sicherte, durfte ich nicht mehr. Da war mir klar, die machen ein Theaterstück draus. Haben sie auch, in London und Hamburg. Da wollten die nicht mehr so einen Fritzen allein über die Bühne hüpfen lassen. Das letzte Mal war ich damit vor zwölf Jahren auf der Bühne. Zum 20-Jährigen gab es noch mal eine Sondererlaubnis. Joanne K. Rowling achtet sehr darauf. Ich finde das schade. Aber momentan öffnet sich das wieder. Auch bei der Lit.Ruhr habe ich wieder eine Potter-Veranstaltung. Das ist halt ein Riesenspaß, auch fürs Publikum. Ein bisschen wie im Zoo: Gucken wir dem Beck zu, was der so macht! Ich hoffe, ich kann wieder auftreten. Es ist einfach eine Herzensangelegenheit.
Stimmt es eigentlich, dass Sie die Harry-Potter-Filme noch nie gesehen haben?
(lacht) Ja, das stimmt. Als drei, vier Jahre nach dem ersten Buch der erste Film kam, wollte ich mir das nicht antun. Weil ich meine eigenen Stimmen und Fantasien im Kopf hatte und mich nicht beeinflussen lassen wollte. Ich weiß bis heute nicht, wie viele Filme es eigentlich sind. Sieben? Oder neun? Man hat mich sogar einmal gefragt, ob ich eine Figur synchronisieren wolle. Aber die hätte ich dann genauso sprechen wollen wie im Hörbuch. Mein Publikum kennt mich so, da kann ich eine Figur im Film nicht anders sprechen.
Und auch als alle Bücher aufgenommen waren, haben Sie die Filme nie nachgeholt?
Irgendwann muss ich es nachholen. Ich weiß, das klingt wie eine Marotte. Aber ich habe einfach meine eigene Potter-Welt.
Immer wieder gibt es mal Gerüchte oder Hoffnungen, Harry Potter könnte fortgesetzt werden. Daniel Radcliffe sagt dann immer: Ohne mich! Würden Sie noch mal …?
(mit verstellter, tiefer Stimme) Alles eine Frage des Geldes. (lacht) Nein, natürlich! Das ist doch meine Story! Und selbst wenn das nicht mehr so gut wäre, würde ich versuchen, es zu veredeln. Das letzte Hörbuch erschien vor 13 Jahren. Mit dem Abstand noch mal ran, jederzeit. Logisch!
Wie war das bei Ihren eigenen Kindern? Haben sie die Potter-Romane auch verschlungen? Oder haben Sie sie Ihnen gar persönlich vorgelesen?
Sie waren die Ersten, die das hören durften. Ich habe ihnen immer Auszüge von dem vorgelesen, was ich am nächsten Tag aufnahm. Und wenn ich kein Kindermädchen gefunden habe, wurden sie einfach mit ins Studio genommen. Ich habe sie auch immer ins Theater mitgenommen. Aber deswegen sind meine drei Kinder auch Künstler. Sie sind Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor geworden.
Sie haben insgesamt über 200 Hörbücher aufgenommen. Verstehen Sie sich eigentlich noch als Schauspieler? Oder sind Sie längst der Vorleser der Nation?
Ich bin kein Vorleser, ich bin Interpret und Performer. Man sollte mich nicht nur an Harry Potter messen, ich habe so viele andere Projekte gemacht. Aber ich glaube, ich habe die Begabung, einen Text zu visualisieren, so dass wirklich Kino für die Ohren entsteht. Ich sehe einen Text immer wie eine Partitur. Für mich ist das Musik. Ich denke auch in musikalischen Termini. Aber ich hab deshalb immer ein schlechtes Gewissen. Typisch deutsch, wurde ich so erzogen, dass Arbeit mit Blut, Schweiß und Tränen zu tun haben muss. Aber mir macht meine Arbeit Spaß. Dem Erfolg habe ich deshalb lange nicht getraut.
Immer wieder kommt die Frage auf, ob die Potter-Figur Rufus Scrimgeour nach Ihnen benannt wurde. Ist das nur eine Legende – oder ist da doch was dran?
Auch heute werde ich das nicht beantworten. Legende ist Legende, vielleicht ist sie wahr, vielleicht auch nicht. Ich neige eher zum Wahrsein.