Mülheim/R. Die Dramen von Martin Heckmanns und Clemens J. Setz im Rennen um den Mülheimer Dramatikpreis enttäuschten – aus unterschiedlichen Gründen.
„Und die Moral von der Geschicht‘“, verkündet das auf aktiven Widerstand eingeschworene Huhn Kommun, „wer früher schießt, den schießt man nicht.“ Das Huhn, der Marx-belesene Hund Schlau, der als Arbeits-Tier schikanierte Esel Grau und die trächtige Katze Schwarz mit Klimaflüchtlingshintergrund bilden das Revoluzzer-Quartett in Martin Heckmanns’ Singspiel „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“, das in Friederike Hellers Inszenierung am Staatstheater Kassel bei den Mülheimer Theatertagen gezeigt wurde. Die gemäßigte Rock-Pop-Musik dazu stammt von der Liedermacherin und Gitarristin Masha Qrella, deren Trio live spielt.
Heckmanns macht in seiner sehr freien Neudeutung der Grimm‘schen Geschichte der „Bremer Stadtmusikanten“ allegorisches Jetztzeit-Märchen. Rebellische Tiere behandeln, verhandeln nun alles, was die Menschheit – im Stück exemplarisch vertreten durch das Erzkapitalisten-Ehepaar von zur Mühlen – nicht geregelt bekommt. Klimakatastrophe und Klassenkampf, unwürdige Arbeitsbedingungen, Gewinn-Maximierung, Konsum-Exzesse, Armut und Unterdrückung, fehlende Solidarität… Singend wollen sie ein Umdenken bewirken und merken bald, dass Lieder und Knittelreime kein probates Mittel gegen zementierte Gewaltverhältnisse sind.
Martin Heckmanns’ Text hat etwas befremdlich Unsensibles
Also der gewaltsame Umsturz? Am Ende sind alle tot, oder, wie es leicht hoffnungsvoll heißt, „wir sind Tote auf Urlaub.“ Wenn es ums Aussterben geht, macht die Erde keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier.
Letztlich hat Heckmanns befremdlich unsensibler Text, der in den Song-Passagen leider meist kaum verständlich ist, etwas von einem Lehrstück für die Sekundarstufe 2, bei dem Interpretationshilfen und didaktische Materialien gleich mitgeliefert werden.
Auch nicht gut: Clemens J. Setz mit dem „Triumph der Waldrebe in Europa“
Bestimmt die reale Welt die noch die virtuelle, oder drohen digitaler Kosmos und Künstliche Intelligenz (KI) die Vorherrschaft zu übernehmen? Der Frage geht Clemens J. Setz in seinem Stück mit dem sinnfreien Titel „Der Triumph der Waldrebe in Europa“ nach, das vom Schauspiel Stuttgart beim „Stücke“-Wettbewerb vorgestellt wurde. Wenn das World Wide Web nichts vergisst, wenn alles und jeder in der Cloud unendlich weiter lebt, warum machen wir uns nicht die digitale Revolution zunutze? Die Herzers haben ihren Sohn David bei einem Autounfall verloren, doch in ihrer Fantasiewelt deuten sie den Tod in eine kognitive Einschränkung um, bei der sie als Eltern helfen können, und begleiten David weiter durchs Leben, kämpfen ernsthaft um dessen Schul-Zulassung und überhaupt um dessen Menschenrechte.
Dass sie mit David per Computer kommunizieren und, wie die Kardashians, die digitale Welt der Blogger, Influencer, YouTuber an ihrem Familienleben teilnehmen lassen, das ist schon die ganze Geschichte. Und die erzeugt, mangels jeglicher Glaubwürdigkeit, irgendwann nur noch Langeweile.