Essen. Querdenker als Romanthema? Der preisgekrönte Autor Clemens J. Setz setzt sich auf besondere Weise damit auseinander – in „Monde vor der Landung“.
Wahrheit sei ein Begriff, mit dem die Menschen seit Jahrhunderten einander geißelten, schrieb Clemens J. Setz zuletzt in seinem Essay „Gedankenspiele über die Wahrheit“ (2022) und plädierte für eine bessere Versorgung mit reichen und belebenden Fiktionen von früh an. In seinen Büchern verwischt der Büchner-Preisträger von 2021 immer wieder die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion und kreiert mögliche Wahrheiten. Ein spannendes Thema, das in Zeiten sozialer Netzwerke mitten ins Herz unserer täglichen Debatten um Fake News und Alternative Facts zielt.
Clemens Setz neuer Roman „Monde vor der Landung“ kreist ums Querdenken
Während der 1982 in Graz geborene Österreicher in den Erzählungen des Bandes „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ (2011) oder im Roman „Indigo“ (2012) experimentelle Erzählformen erprobte, mutet sein aktuelles Buch geradezu konventionell an. „Monde vor der Landung“ ist ein weitestgehend chronologisch erzählter historischer Roman über den Autor und Hobby-Astrologen Peter Bender, der wirklich gelebt hat.
Eine Figur, wie kein Schriftsteller sie besser erfinden kann. 1893 im rheinland-pfälzischen Bechtheim geboren wird ihm im Ersten Weltkrieg der Kiefer weggeschossen. Später gründet er die sektenähnliche „Wormser Menschengemeinde“, schreibt mit „Karl Tormann“ (1927) einen Roman, der seinen Verleger in den Ruin treibt, und predigt freie Liebe. Vor allem aber ist dieser Peter Bender ein streitbarer Anhänger der Hohlwelt-Theorie, die besagt, dass die Menschen nicht auf der Erde existieren, sondern auf der Innenseite einer hohlen Erdkugel. Als dringliches Indiz dafür dient ihm, dass sich die Enden der abgelaufenen Schuhsohlen schiffchenförmig nach oben neigen, was ja wohl unzweifelhaft auf einen Innenweltkosmos schließen lässt.
Setz’ subtiler Humor erinnert an Daniel Kehlmann
Der subtile Humor, mit dem Clemens J. Setz seinen schrulligen Helden zeichnet, und der launige Ton, erinnern an Daniel Kehlmann oder Ingo Schulze. Das hält den Leser bei der ein oder anderen trägeren Passage dieses etwas zu lang geratenen Romanes bei der Stange. Der faszinierend orthodoxe Roman über das Querdenkertum, der auf dem Cover beworben wird, ist „Monde vor der Landung“ zwar nicht. Dafür fehlen die aktuellen Bezüge. Aber eine kuriose Geschichte über die Poesie von alternativen Wahrheiten ist das Buch allemal. Zeitlos, schräg, tragisch.
Peter Bender und seine jüdische Ehefrau Charlotte nämlich müssen ihre Überzeugung am Ende mit dem Leben bezahlen. Beide sterben im Konzentrationslager. Die Nazis duldeten keine andere Weltsicht als die eigene. Mögen Alternative Fakten uns heute mitunter nerven. Sie auszuhalten, ist auch eine Errungenschaft der Demokratie.
Clemens J. Setz: Monde vor der Landung. Suhrkamp, 526 S., 26 €.