Moers. Musik ohne Grenzen beim Moers-Festival, auf beiden Seiten des Bauzauns: Festivalchef Tim Isfort bot eine Ligety-Hommage und alte Heroen zuhauf.

Seit 52 Jahren ist das Moers Festival an jedem Pfingstfest ein Garant für musikalische Grenzüberschreitungen. Umso bemerkenswerter, dass sein künstlerischer Leiter Tim Isfort diesmal verkündete: „Willkommen zur Internationalen Bauzaunausstellung Moers!“ Was den Ruch der Wahrheit trug. Die Fläche vor der Festivalhalle eine riesige Bauwüste, der Freizeitpark weiträumig abgesperrt und das launig „AmViehTheater“ genannte Open-Air-Gelände am Rodelberg eingezäunt. Wo man bei bestem Wetter feststellen konnte, dass draußen vor der Drahteinhausung fast mehr Zuhörer als drinnen vor der Bühne saßen. Musik kennt halt keine Grenzen.

Was man von der Kondition des Moers-Publikums nicht unbedingt behaupten kann. Ging doch der ständige Wechsel zwischen den Spielorten – im Gymnasium Filder Benden gab es obendrein noch eine „Annex“ genannte Parade freier Improvisationsartistik – ziemlich in die Beine. Während das anspruchsvolle Programm in der Festivalhalle meist höchste Konzentration erforderte. Würdigte Tim Isfort dort doch den 100. Geburtstag von György Ligeti mit mehreren Großprojekten, die kammermusikalische Klangpracht von hypnotischer Intensität in das kontrastreiche Geschehen einbrachten.

Theresia Philipp und Carolin Pook auf dem Spuren von György Ligeti

Faszinierend, wie sich da in verschiedenen Ensembles delikate Streicher in höchster Präzision an subtilen Bläserstimmen und vertracktem Schlagwerk rieben, was dynamisch raffiniert zu flirrender Farbigkeit aufblühte. Wie sich exemplarisch in dem Auftragswerk „Music from Kylwiria“ zeigte, wo sechs Jazzer wie die Saxofonistin Theresia Philipp oder die Geigerin Carolin Pook den Einflüssen von Györgi Ligeti nachspürten.

Eindrucksvoll abgerundet wurde der Hommage-Reigen von einem Auftritt des englischen Komponisten Gavin Bryars, dessen um einen Gitarristen ergänztes Streichensemble dem spannungsreichen Kammermusik-Erlebnis weitere fein gearbeitete Facetten beigab.

Nélida Karr, Gary Bartz, Kenny Garrett und Billy Hart

Bildete Weltmusik früher, besonders in den 90ern und Nuller-Jahren, oft einen Schwerpunkt, so war sie diesmal nur Beiwerk. Entdeckungswürdig die Sängerin Nélida Karr aus Äquatorialguinea mit rhythmisch wie tonal eigenwilligen Gitarrenklängen, während das multinationale „Timber Ensemble“ ansprechend in orientalischen Gefilden schwelgte.

Jazzfans wurden dagegen mit alten Heroen zuhauf beglückt. Von Gary Bartz, dem unbekanntesten aller Miles-Saxophonisten (Montagnacht folgte noch Kenny Garrett), über den litauischen Pianisten Vyacheslav Ganelin, einst der FreeJazz-Star der UdSSR, bis hin zum US-Drummer Billy Hart, der mit dem Pianisten Ethan Iverson und dem imposanten Tenorsaxophonisten Dayna Stephens astreinen Modern Mainstream servierte. Die dänische Star-Perkussionistin Marilyn Mazur dagegen hinterließ trotz aller Virtuosität gemischte Gefühle, während der Leipziger Freitrommler Günther „Baby“ Sommer, der auch wunderbar swingen kann, in illustrer Bläserrunde grandios Chris McGregor und dessen „Brotherhood of Brass“ huldigte.

Aki Rissanen, Gebhards Uhlmanns „Das Kondensat“ und Eve Risser

Dazwischen setzte die jüngere Generation feine Duftmarken, so der finnische Pianist Aki Rissanen an einem „Omniwerk“ genannten zweimanualigem Tasteninstrument, das neben Saiten auch Synthesizer enthält. Das Berliner Trio „Das Kondensat“ um den Tenorsaxophonisten Gebhard Uhlmann tänzelte packend zwischen Tradition und Moderne, während die französische Pianistin Eve Risser – ebenfalls keine Unbekannte in Moers – mit ihrem „Red Desert Orchestra“ eine famose Synthese aus quirligem Impro-Jazz und ma­ghrebinischen Sounds kredenzte.

Das war klar ein Höhepunkt des erfreulich gut besuchten 52. Moers Festivals, das diesmal so gut wie keine Neuentdeckung bot und deshalb vor allem als grandioses Ligeti-Festspiel in Erinnerung bleiben wird.