Recklinghausen. Überraschung bei den Ruhrfestspielen: Mit dem Stück „Pah-Lak“ („Vater“) ist erstmals ein rein tibetisches Theater auf internationaler Tournee.
Ist Gewaltlosigkeit der einzig zukunftsfähige Weg? Lässt sich brutalen Aggressoren nur durch Gewaltverzicht begegnen? Liefert Tibet, das seit 1950 von China annektiert ist, dessen Kultur und Identität systematisch unterdrückt wird, dafür ein Beispiel? Seit 1974, nach Jahren des offenen Widerstandes, plädiert der im Exil lebende 14. Dalai Lama für einen gewaltfreien „Mittleren Weg“ und versucht (bis heute erfolglos) die Anerkennung Tibets zumindest als autonome Region zu sichern.
Es ist eine Europa-, ja im Grunde eine Weltpremiere, mit der die Ruhrfestspiele aufwarten. Mit Abhishek Majumdars Stück „Pah-Lak“ („Vater“), von Lhakpa Tsering und Harry Fuhrmann im indischen Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung, als Koproduktion von Tibet Theatre und Tibetan Institut of Performing Arts inszeniert, geht erstmals ein rein tibetisches Theater auf internationale Tournee. Es gibt keine Vergleichsmöglichkeiten, entsprechend ist die Überraschung groß.
„Pah-Lak“ entfaltet eine unmittelbare Wirkung
„Pah-Lak“ ist keine tibetische Oper mit farbenprächtigen Masken und Kostümen, sondern fast lupenreines (mit deutschen Texteinblendungen) Sprechtheater; Inszenierungsduktus und karges Bühnenbild entsprechen europäischen Theatererfahrungen und Seh-Gewohnheiten, traditionelle Musik verweist lediglich auf einen anderen Kontext. Wo alles „Exotische“ fehlt, ist die Wirkung umso unmittelbarer.
In einem Dorf in Ost-Tibet hat sich die junge Deshar für ein Leben als buddhistische Nonne entschieden. Als sich die Nonnen gegen die von Peking angeordneten Umerziehungsmaßnahmen wehren, wird das Kloster auf Anordnung des chinesischen Polizeioffiziers Peng geschlossen. Deshar verliert ihr letztes Stückchen Freiheit; das Gefühl der Machtlosigkeit angesichts permanenter Unterdrückung bringt sie zu einem radikalen Entschluss. Sie zündet sich an.
Ringen des tibetischen Volkes um den Erhalt seiner Kultur
Bis dahin, und danach, taucht man tief ein in das verzweifelte Ringen des tibetischen Volkes um den Erhalt seiner Kultur; man erlebt den Zwiespalt der Widerstandsbewegung, fühlt sogar mit dem weisungsgebundenen Peng.
Doch wenn Deshars zum Glück nicht letaler Akt, die Gewalt gegen sich selbst, zur höchsten Form von gewaltfreiem Widerstand wird, wenn Slogans wie „Selbstverbrennung für den Weltfrieden“ fallen, dann ist es mit dem Verständnis vorbei. Dann fühlt man zwar noch mit Tibet, aber in Gedanken ist man schon wieder bei der Ukraine. „Pah-Lak“ ist am Donnerstag, 11. Mai, 19 Uhr, noch einmal im Ruhrfestspielhaus zu sehen.