Recklinghausen. Unbekannte und große Namen, Klassiker und Performance: Bei den 77. Ruhrfestspielen mischt Intendant Kröck auf seine typische Art das Repertoire.

Das Motto der Ruhrfestspiele fühlte schon unpräziser der Zeit den Puls als 2023. „Rage und Respekt“ heißt es. Freilich, ein Schuss prophetischen Glücks gehört beim Treffer dazu, schließlich brüten es Intendant Olaf Kröck und die Seinen schon im alten Jahr aus. 2022 etwa stand „Haltung und Hoffnung“ längst fest, dann kam Putins Krieg, aber es klang doppelt hintersinnig und zeitgemäß.

Und das Neue? Nicht erst die Silvesterkrawalle lassen fragen, ob Rage mindestens in einer Spielart die Abwesenheit von Respekt ist. Oder leben wir in einer Gesellschaft, bei der das Einfordern von Respekt inzwischen Rage zwangsläufig provoziert? Aber was von dem Motto wird auf der Bühne sichtbar? Nun, man wird mindestens fragen dürfen, warum Shakespeares „Macbeth“ (Premiere der Berner Inszenierung von Roger Vontobel) oder „Der Sturm“ (die letzte Arbeit des 2022 verstorbenen Theatermagiers Peter Brook) gerade mit diesem Begriffspaar ideale Gäste des Festspieljahrgangs sind. Ein bisschen Wortwolke ruht halt immer über dem Grünen Hügel an der Cäcilienhöhe.

77. Ruhrfestspiele setzen auf das Motto „Rage und Respekt“

Es werden diese Festspiele jedenfalls, das kann man nach knapp fünf Jahren im Amt sagen, typisch Kröck sein. Der einstige Bochumer Chefdramaturg lässt nicht ab, mit seiner Auswahl eher bei den Kreationen der Ruhrtriennale zu siedeln als am vorwiegend mit Namen lockenden Theaterzirkus seines Vorgängers Hoffmann.

Stars wie Devid Striesow und Matthias Brandt

Und doch ist auch der neue Jahrgang clever gemischt. Daran, dass man bei Stücktiteln erstmal zum Langenscheidt greifen muss, haben sich die Besucherinnen und Besucher ja gewöhnt. „Drive Your Plow Over the Bones of the Dead“ (etwa „Fahre mit deinem Pflug über die Knochen der Toten“) nach einem Werk der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk eröffnet am 3. Mai den Reigen aus zeitgenössischen Produktionen, Klassikern, Tanz und auch leichteren Genres wie etwa dem des Neuen Zirkus.

Feingeistige Lieblingsveranstaltungen, denen Regisseure ihrer Natur nach nichts anhaben können, wie die Lesungen hat das Programm nicht weniger im Blick als die zupackendere Kabarett- und Comedyschiene. Erstgenannte wird etwa hochkarätig durch Fritzi Haberlandt (Virginia Woolf) und Devid Striesow (Goethe) verkörpert, die zweite ist mit Magneten von Nessi Tausendschön bis Wladimir Kaminer gut besetzt.

An 13 Spielorten wirken die Ruhrfestspiele 2023, sogar im Rathaus

Theaterarbeiten, die für die meisten Zuschauer Neuland bedeuten, sind etwa mit „Pha Lak“ vertreten, einer politischen Arbeit aus Tibet; für die Uraufführung „AND NOW HANAU“ von Tuğsal Moğul haben die ältesten Theaterfestspiele Deutschlands einen Aufführungsort gewählt, der der Frage nach politischer Verantwortung mit einem architektonischen Ausrufezeichen begegnet: Man spielt im großen Sitzungssaal des Recklinghäuser Rathauses. Verfolgte Künstler zeigen Werke im Festspielhaus: Der in Russland verfemte Kirill Serebrennikov gastiert mit seiner Inszenierung nach Gogols Erzählung „Der Wij“ (Thalia Theater Hamburg).

Leander Haußmann und Ulrich Matthes kommen nach Recklinghausen

Früh ausverkauft dürften Auftritte altvertrauter Stars der Ruhrfestspiele sein: Matthias Brandt nähert sich den „Bergwerken zu Falun“, Angela Winkler erblickt „Brecht im Spiegel“. Leander Haußmann präsentiert „Einer flog über das Kuckucksnest“. Und Ulrich Matthes legt als Dorfrichter Adam den komischsten Sündenfall der Theatergeschichte hin; freilich nicht ganz so exklusiv wie die Ruhrfestspiele es gern hätten. Sein Auftritt in Kleists „Der zerbrochne Krug“ wird kurz vorher bei Duisburgs Akzenten zu sehen sein. Die große Ausstellung des Festivals kreist um das Schaffen der portugiesisch-südafrikanischen Installationskünstlerin Angela Ferreira. Die Eröffnungsrede wird die deutsche Schriftstellerin Anne Weber („Annette, ein Heldinnenepos“) halten.

Insgesamt wird es 90 Produktionen mit rund 270 Veranstaltungen; an 13 Spielstätten geben, 650 Künstler aus aller Welt reisen an: Der Respekt vor diesem Kraftakt, wird niemanden in Rage bringen.

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DIE KARTEN

Karten für die Ruhrfestspiele gibt es ab 2. März, 9 Uhr, unter 02361-92180. Der Online-Kartenverkauf läuft wie gewohnt über www.ruhrfestspiele.de

50 % Ermäßigung gibt es für Kinder, Schüler und Schülerinnen sowie Studierende bis 27 Jahre, Auszubildende, Erwerbslose und Freiwillige (BFD, FSJ).

Mittels einer Patenschaft ermöglichen die Festspiele finanziell benachteiligten Kindern und Jugendlichen die Teilhabe. Interessierte können für diese Gruppe Patenkarten in Höhe von 6,50 Euro kaufen und damit Kindern und Jugendlichen die Teilnahme an den verschiedenen Angeboten ermöglichen.