Essen. Die Eröffnung des Klavier-Festivals Ruhr in der Essener Philharmonie mit Joseph Moog bot Licht und Schatten samt irritierender Erfahrungen.

Die lang anhaltenden Begeisterungsstürme und Standing Ovations am Ende konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Eröffnungskonzert des Klavier-Festivals Ruhr 2023 in der gut besuchten Essener Philharmonie auch nachdenkliche Gefühle auslöste. Immerhin ist nach 28 erfolgreichen Jahren die letzte Saison unter der Leitung von Franz-Xaver Ohnesorg angebrochen. Wobei der Abschiedsschmerz durch die Amtsübergabe an seine Nachfolgerin Katrin Zagrosek gelindert werden dürfte, eine erfahrene Kulturmanagerin. Bei ihr ist sich nicht nur Markus Krebber sicher, der Vorstandsvorsitzende von RWE und in diesem Jahr Schirmherr des Festivals, sicher, dass sie das Festival in Sachen Qualität, Vielfalt und Kreativität auf dem gewohnt hohen Standard fortführen wird.

Einen Schatten auf den Abend warf allerdings der rabiate körperliche Einsatz der Ordner gegen einige Klimaaktivisten, die vor Konzertbeginn und nach der Pause Statements in den Saal riefen. Eine Veranstaltung mit hohen kulturellen Ansprüchen hätte vielleicht zunächst zivilisierte Versuche der Problemlösung verdient gehabt.

Joseph Moog und Jos van Immerseel mit verheißungsvollem Auftakt

Nach den offenbar als blasphemisch empfundenen Angriffen der jungen Leute gegen die heile Welt der Hochkultur entspannte sich die aufgeheizte Stimmung mit Klängen von Franz Schubert und Franz Liszt. Obwohl erst 35 Jahre jung, trat Joseph Moog bereits zum 10. Mal beim Festival auf. Ein Talent, das Ohnesorg mit besonderer und auch erfolgreicher Hingabe förderte. Jos van Immerseel, selbst ein vorzüglicher Pianist und exzellenter Kenner historischer Aufführungspraktiken, ist noch nicht so lange dabei und stellte sich mit der „Anima Eterna Brugge“ zum ersten Mal an der Ruhr als Dirigent vor.

Der Auftakt mit Franz Schuberts Ouvertüre zur „Rosamunde“ gelang verheißungsvoll. Das frische, melodienselige Stück gewann durch das historisch ausgerichtete Orchester an klanglicher Transparenz ohne jeden Fettansatz. Der tänzerisch bewegte Duktus wurde mit federleichter Eleganz sicher getroffen.

Schuberts „Unvollendete“ mit einer altmodisch anmutenden Patina

Nach der Pause fiel die Interpretation der „Unvollendeten“ allerdings merklich ab. Zähe Tempi, bei denen das Eingangs-Allegro fast langsamer wirkte als das folgende Andante, eine schwach profilierte Phrasierung und klanglich martialisch unorganisierte dynamische Höhepunkte versahen das Werk mit einer pathetisch angerührten, geradezu altmodisch anmutenden Patina. Auch das 2. Klavierkonzert von Franz Liszt startete Immerseel ungewöhnlich langsam. Allerdings rückte Joseph Moog mit seinem Einsatz die Tempo-Relationen schnell zurecht. Den lyrischen Charakter des Werks traf er mit seiner feinen Anschlagskultur stilsicher, wurde dabei allerdings nicht immer mit gleicher Sensibilität vom Orchester unterstützt.

Als interessantes Experiment ist Franz Liszts Bearbeitung von Schuberts „Wanderer“-Fantasie für Klavier und Orchester zu verstehen, auch wenn man über den Nährwert streiten kann, den die Orchestrierung einbringt. Die stärksten Impulse gingen auch hier von dem jungen Pianisten aus, der seine Fähigkeiten an diesem Abend jedoch nur begrenzt ausspielen konnte. Und Jos van Immerseel, der sich für eine Zugabe mit Moog ans Klavier setzte, überzeugte beim Klavier-Festival bisher stärker als Pianist denn als Dirigent.