Essen. Geteilte Gefühle: In diesen Tagen jährt sich der 150. Geburtstag von Sergei Rachmaninoff. Pianist Alexander Krichel gratuliert mit einem Album.
Wenn es einen Komponistenhimmel gibt, muss er nicht zwangsläufig ein gemütlicher Ort sein. Warum soll sich auf Wolke sieben ändern, was im Leben dazugehörte: Viele mochten einander nicht, ätzten gegen Kollegen. Sergei Rachmaninoff, ohnehin mit einer gefährlichen Schwermut ins Leben geworfen, trafen solche Schmähungen besonders hart.
Ob die Verehrung Nachgeborener tröstet? In dieser Woche jährt sich der 150. Geburtstag eines Spätestromantikers, dessen Ruhm freilich manche Kritik überlebt hat. Als erster Gratulant überreicht Alexander Krichel ein frisch gepresstes Album. Krichel (vielfach gefeiert auch bei uns in den großen Konzerthäusern) ist offensiv in seiner Verehrung. Persönlicher kann Zuneigung kaum klingen, als eine CD „My Rachmaninoff“ zu nennen.
„My Rachmaninoff“ – Auswahl umspannt fast ein ganzes Künstlerleben
Krichels Auswahl umspannt fast ein ganzes Künstlerleben. Rachmaninoff ist keine 20, als er das cis-moll-Prélude schreibt. Krichel eröffnet damit einen Werk-Reigen, mit dem er sich als Seelenverwandter des Meisters zeigt, der tiefe Schaffenskrisen durchlitt: „In seinen Kompositionen suche ich nicht nach Trost, sondern ich finde einen Freund, der mich versteht und mit dem ich jedes Gefühl teilen kann.“
Krichel bringt eine zentrale Begabung für Rachmaninoff mit, der ja selbst einer der letzten komponierenden Superstars am Flügel war: jene Virtuosität, in der eine nie versiegende Emotionalität glüht. Technisch ist für den 34-jährigen Hamburger ohnehin nichts unmöglich: Man lauscht staunend, wie er die berüchtigten, einem Pianisten alles abfordernden, extrem vertrackten, rätselhaft abgründigen Études-Tableaux op.39 ausleuchtet. Das ist ein Spiel stets auch auf der Suche nach der schillernden Persönlichkeit und dem Credo des Komponisten, im Spektrum von Triumph und Todesahnung, von Salon und Abgrund.
Auf „My Rachmaninoff“ zeigt sich Krichel als begnadeter Erzähler
Einmal mehr zeigt sich Alexander Krichel als extrem stilsicherer Interpret (subtil und betörend in den Details auch die Corelli-Variationen), vor allem aber als begnadeter Erzähler. Vielleicht glückt das auch darum so fesselnd, weil er einen Zeitgenossen Rachmaninoffs an seiner Seite hat: 1907 wurde der Steinway gebaut, den Krichel für dieses Album gewählt hat. Das Instrument ist frisch generalüberholt und flutet den Klangraum förmlich mit herrlichen Farben (und einem sinnlichen Donner-Potenzial in der Tiefe).
Die CD endet mit der berühmten Vocalise. Krichel spielt sie als Schwanengesang, das Schöne und der Schmerz, sie sind Geschwister.
Alexander Krichel. My Rachmaninoff, Berlin Classics, ca. 19 Euro