Essen. Miley Cyrus weiß, was sie kann: Auf „Endless Summer Vacation“, ihrem achten Studioalbum, überzeugt die US-Amerikanerin mit neuen, starken Songs.

Neuerdings sagen das die Leute – vor allem, aber nicht nur, Frauen – bei jeder sich bietenden Gelegenheit. „I can buy myself flowers“, diese Schlüsselzeile aus Miley Cyrus‘ überwältigend großem Hit „Flowers“, ist innerhalb weniger Wochen zu einem, oft auch leicht ironisch gemeinten, Schlachtruf der weiblichen Selbstermächtigung, oder, wie man heute sagt, des Female Empowerment, geworden. Lass mal gut sein, ich kann mir meine Blumen schon selbst kaufen. Passt immer, wenn sich jemand an einen ranwanzt mit blödem Gelaber, unerwünschten Avancen oder auch nur dem unstillbaren Drang, der anderen, oft weiblichen, Person mal wieder erklären zu wollen, wie der Hase ganz grundsätzlich so läuft.

„Flowers“, Anfang Januar veröffentlicht und seitdem praktisch überall in den großen Popländern auf Platz Eins der Charts, ist aber auch ein genialer Song. Freundlich und unaufdringlich genug, um niemanden großartig zu verstören, aber eben auch eine wahrhaftige Hymne.

Miley Cyrus thematisiert die Scheidung von ihrem Ex-Mann Liam Hemsworth

Wenig verklausuliert oder um irgendwelche Breispeisen herumsingend thematisiert Cyrus in dem Song die Scheidung von ihrem Ex-Mann, dem australischen Schauspieler Liam Hemsworth (man war zehn Jahre zusammen, ein Jahr verheiratet, 2019 war Schluss). Aber das tut sie nicht so bitterböse und sarkastisch wie etwa Shakira das Thema auf ihrer Gerard-Piqué-Abrechnung „BZRP Music Sessions #53“ umsetzt, sondern mit einem gewissen Rest an Zuneigung. Aber sie macht überzeugend deutlich, dass sie die Sache mit dem Solo-sein und der Selbstliebe schon hinbekommen wird, und sie feiert ihre Unabhängigkeit auch ein bisschen.

Kraftvoll: Miley Cyrus auf dem Cover des ihres neuen Albums „Endless Summer Vacation“.
Kraftvoll: Miley Cyrus auf dem Cover des ihres neuen Albums „Endless Summer Vacation“. © dpa | Sony Music

Klar, alles mit „Selbst“ im Begriff ist aktuell megatrendig, Selena Gomez hat sich neulich ja sogar selbst geheiratet, doch „Flowers“ selbst ist auch als Song ein echter Knaller. Sehr griffig und melodisch, phänomenales Video, eine Miley mit herrlich honiggerösteter Stimme, und dann dieser „Wir werfen die Hände in die Luft“-Moment im Refrain, wenn Miley „I can love myself better than you can“ singt – ich kann mich besser lieben, als du es je konntest, danke für nichts. Das erinnert dann die Älteren schon sehr an Gloria Gaynors „I Will Survive“, adaptiert für die Generation TikTok und Selfcare.

Miley Cyrus präsentiert ein maximal gelungenes Pop-Kunstwerk

Mit nun 30 Lebensjahren ist es Miley Cyrus auf „Flowers“ wie nie zuvor gelungen, ihr überbordendes Charisma in ein wirklich maximal gelungenes Pop-Kunstwerk zu übertragen. Auf dem Weg zur jungen Ikone ist sie einen Riesenschritt nach vorne gegangen, vielleicht ist sie gar bereits angekommen.

Mit dem massiven Rückenwind von „Flowers“ hat Miley Cyrus mit ihrem achten Album „Endless Summer Vacation“ natürlich ziemlich leichtes Spiel. Interessant: Vor Veröffentlichung war wirklich so gut wie nichts darüber durchgesickert, wie die Platte denn überhaupt klingen würde. Das ist bei Cyrus ja keineswegs immer klar. Sie ist stilistisch nach allen Seiten offen.

Seit „Wrecking Ball“ gilt Miley Cyrus als erwachsen

Seit fast zwei Jahrzehnten ist die Patentochter von Dolly Parton ja schon im Popgeschäft erfolgreich, erst als Kinderdarstellerin und -sängerin im Disney-Universum („Hannah Montana“), 2013 gelingt ihr mit dem Song „Wrecking Ball“ vom Album „Bangerz“ schon mal so ein globaler Überwältigungshit. Seither gilt sie in der öffentlichen Wahrnehmung als erwachsen. Und sie hat das wirklich gut hinbekommen, hat vielleicht mal ein bisschen viel gekifft, ist aber nie in die ganz tiefen Kinderstargruben gefallen.

Konstant präsent war sie ohnehin. Und das Interesse an ihr hat nie gelitten, auch wenn nicht jeder Song immer ein Hit war und sie sich bewusst auch mal künstlerische Extravaganzen wie das psychedelische Rockalbum „Miley Cyrus & Her Dead Petz“ (2015) gönnte. Es folgten ein etwas maues Verliebtseins-Album („Younger Now“, 2017) und 2020 mit „Plastic Hearts“ eine gewaltige, bombastische, etwas übertheatralische 80ies-Rock-Pop-Powerdusche inklusive Gastauftritten von Billy Idol und Joan Jett.

„Endless Summer Vacation“ – Miley Cyrus kommt bei ihren Wurzeln an

Auf „Endless Summer Vacation“ nun scheint die Tochter des Countrysängers Billy Ray Cyrus („Achy Breaky Heart“) ganz nah bei sich selbst und ihren Wurzeln angekommen zu sein. Vor allem der erste Teil des Albums – das etwas umständlich in eine „AM“- (morgens) und eine PM (abends)-Hälfte gegliedert ist – erfreut mit wunderbar warmen Klangfarben, mit Country und Folk, mit viel Gitarre, Piano und überhaupt Handgemachtem. Man fühlt sich wohl und gut aufgehoben in diesen Songs mit ihrem dezenten 70ies-Einschlag. Natürlich wurde das Album nicht live in einer Scheune aufgenommen, sondern unter anderem mit Kid Harpoon und Tyler Johnson, den Machern von Harry Styles „Harry’s House“-Album, aber es hat etwas sympathisch Unaufdringliches, gerade in den ersten fünf Liedern fast Kleines.

„Jaded“ klingt wie eine lauschige Midtempo-Mischung aus „Crazy“ von Aerosmith und „Purple Rain“ von Prince, „Rose Colored Lenses“ an die hübschen, ruhigen Nummern von Taylor Swift. Die ungeheuer schöne Akustikpianoballade „Thousand Miles“, eine Kollaboration mit Alternative-Country-Ikone Brandi Carlile, ist ein Höhepunkt des Albums, „You“ ist eine recht lässige Bar-Blues-Nummer.

Miley Cyrus blickt auf ihre gescheiterte Beziehung

Inhaltlich setzt sich Cyrus auch in diesen Songs oft mit ihrer gescheiterten Beziehung auseinander, erneut ist viel Bedauern dabei sowie die Erkenntnis, dass Liebe manchmal eben nicht genug ist – vor allem, wenn sie sich allmählich verflüchtigt wie die Luft aus einem Ballon. Ein wenig Luft entweicht freilich auch im zweiten Teil von „Endless Summer Vacation“. „Handstand“ ist von einer Spoken-Word-Passage getragen und lässt mit seinen Electrospielchen fast an Michael Cretus Enigma erinnern. Ohnehin kommen nun mehr Beats und mehr Bearbeitung ins Spiel, was den Liedern eher nicht so guttut.

Stark ist nochmal Sias wütender Gastauftritt im kompakten „Muddy Feet“ (hier ist es im Text auch mal gut mit der Empathie, „Verpiss dich aus meinem Haus“ lautet eine Zeile). Und die neue Single „River“ hat eine knackige, fröhlich klingende, Synthie-Melodie, kommt indes nicht an die Grandiosität von „Flowers“ ran. An der schnuppert Cyrus ganz am Ende nochmal mit „Wonder Woman“, einer hinreißend gesungenen Stimme-und-Klavier-Ode an die Resilienz und das Kopf-über-Wasser-Halten in den Sturmfluten des Lebens.

„She knows what she likes“ singt Miley. Sie weiß, was sie mag. Sie weiß, was sie will. Sie weiß, was sie kann. Und das ist sehr, sehr viel.