Recklinghausen. Eine Autobiografie als Aufarbeitung: Der Schauspieler Christian Redl über den Alptraum Theater. Wir sprachen mit dem Star der „Spreewaldkrimis“.

Über 50 Jahre auf der Bühne, dazu ein Publikumsliebling dank des „Spreewaldkrimis“. Kurz vor seinem 75. Geburtstag zieht der Schauspieler Christian Redl mit einem Buch Bilanz: schnörkellos, schonungslos. Lars von der Gönna traf Redl zum Gespräch über einen Beruf mit Tabus und Ängsten, über nie verheilte biografische Wunden und den Alptraum, auf der Bühne zu stehen.

Sie zitieren für Ihre Autobiografie Ödön von Horváth, „Das Leben hat kein Geländer“. Ein schöner Titel, aber er erzählt auch von der Gefahr, keinen Halt zu finden.

Redl: Erst dachte ich an Sternheim: „Das Leben ist eine Rutschbahn.“ Aber Horváths Formulierung entspricht wirklich dem, wie mir selbst das Leben widerfahren ist.

Wer Ihr Buch liest, findet verletzende Episoden, die Jahrzehnte zurückliegen, aber erzählt sind sie so, wie gerade eben passiert. Ist das Ihre Fabulierlust oder sind die Wunden immer noch nicht ganz geschlossen?

Ganz klar: Die Wunden sind nicht verheilt, bis heute nicht. Das sind nicht nur Verletzungen aus der Kindheit. Viele stammen aus dem Theater. Bis heute verfolgt mich zum Beispiel diese Textangst, auch wenn das Alter mir jetzt hilft, gelassener zu sein.

Weder wer Sie auf der Bühne erleben durfte noch der Fernsehzuschauer würde bei Christian Redl an einen Angstmenschen denken.

Das ist einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Ich habe viele Schauspieler-Biografien gelesen: Das Thema Angst wird wohlweislich ausgeklammert, Anthony Hopkins und Laurence Olivier ausgenommen. Angst ist ein Tabuthema. „Das macht einen schwach“, denken die Kollegen wahrscheinlich. Klar ist es das, aber es runterzuschlucken, macht einen erst recht krank.

Die Suche nach dem Geländer endet in Ihrem Fall mit dem Griff zur Schauspielerei. Sie spielen Schultheater und spüren wörtlich zum erstem Mal im Leben: „Ich existiere!“

So habe ich das empfunden. In der Schule war ich eher ein Versager. Meine familiäre Situation war belastend, meine Eltern hatten beide ihre Partner im Krieg verloren, eigene Kinder mit in die zweite Ehe gebracht: eine Verbindung mit viel Konfliktpotenzial. Mein Vater war Lehrer, er hielt mich wegen meiner schulischen Leistungen für dumm. Und er schämte sich meiner. Das Theater war dann wie ein Befreiungsschlag für mich.

War der Weg zum Theater eher Aufbegehren oder Fluchtpunkt?

Viel eher Eskapismus: Fluchtpunkt. Ich war nie ein Rebell, nie ein 68er. Ich bin nicht unpolitisch, aber politisches Bewusstsein war kein Motor für meinen Weg. Mich hat später in meinem Beruf eher gequält, wie der sogenannte gesellschaftliche Auftrag von Theater daneben ging, oft den Leuten aufgenötigt wurde bis an die Grenze zum Machtmissbrauch.

Da dürften Sie heute froh sein, Ihre Angebote wählen zu dürfen, in vielen Stadttheatern wären Sie aktuell ein „alter weißer Mann“...

Diese ganze neumodische Debatte! Da kann ich, entschuldigen Sie, nur noch kotzen. Es ist unsäglich was da derzeit passiert, der Kunst dient das überhaupt nicht.

Aber auch rückblickend erzählen Sie in Ihrem Lebensbuch intensiv vom Theater als Ort der Despoten und Dummköpfe, dort wird erniedrigt, denunziert, fertiggemacht. Ein seltsamer Widerspruch, dass diese Kunst über 50 Jahre dennoch Ihr Geländer geblieben ist?!

Klar, man liest das und denkt: „Warum schmeißt der nicht hin?“ Ehrlich gesagt, wunder’ ich mich auch selber darüber, ein Phänomen. Es gab so niederschmetternde Erlebnisse wie den Hamburger „Ödipus,“ da war ich wirklich am Ende. Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder auf einer Bühne stehen würde. Theater wurde für mich zur Horrorvorstellung, der reinste Alptraum.

Das klingt so, als sei es schöner gewesen, eine Vorstellung hinter sich zu haben als eine zu spielen...

Oft war das bei mir so. Ich hab’ beim Spielen immer schon an das Danach gedacht, das ist furchtbar, aber es war so (lacht). Ich weiß nur eins: Es ist ein knochenharter Beruf, den ich keinem empfehlen würde – heute sowieso schon nicht mehr. Was ich am heutigen Theater unerträglich finde, sind Inszenierungen von Regisseuren, die sich permanent nur noch mit sich selber beschäftigen. Erst das Ich, dann das Stück. Einfach nur traurig.

Sie haben in Film und Fernsehen ein starkes Standbein gefunden. Genießen Sie die Popularität als „Krüger“ vom „Spreewaldkrimi“?

Sie ist mir eher fremd, aber wenn mich im Osten einer begrüßt: „Det ist ja der Krüger, Sie sind doch eener von uns“, dann ist das einfach schön! Den korrigier’ ich auch nicht, obwohl ich ja in Schleswig geboren bin.

Nicht erst am Schluss, an dem Sie schreiben, dass kein Tag vergeht, an dem Sie nicht an den Tod denken, begegnet uns Ihr Buch wie ein Aufschreiben zur Befreiung, ein „Zeugnis ablegen“.

Das aufzuschreiben, war wie eine Katharsis: die totale Reinigung. Am Ende des Schreibens gab es selbst mit Menschen, mit denen ich nicht zurechtgekommen bin, so etwas wie einen Moment der Versöhnung.

Eine späte Liebe verbindet Sie mit der Ruhr, denn Ihre Frau lebt in Recklinghausen.

Ich hätte nicht gedacht, im Alter noch ein solches Glück zu finden. Ich habe sie während der Ruhrfestspiele kennengelernt. Sie ist Schuldirektorin, die erste Nicht-Schauspielerin an meiner Seite, ich bin unendlich dankbar dafür. Das Buch ist ihr gewidmet: „Für Martina“.

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DAS BUCH

Seine Familie ist ein aus den Verlusten des Zweiten Weltkriegs erwachsenes „Patchwork“-Gewächs, später wird es ihm schwerfallen, dem Aufenthalt in der Schauspielschule Bochum Sinn abzugewinnen, mit den Erfolgen auf der Bühne wächst die Gefährdung, auch die durch den Alkohol: Christian Redls Lebensbeschreibung ist alles andere als Glamour-fixiert. Seinen künstlerischen Triumphen stehen herbe Niederlagen gegenüber, auch in Form scheiternder Beziehungen. Das Buch des Schauspielers, der am 20. April 75 wird, ist eben erschienen: „Das Leben hat kein Geländer“, Westend Verlag, 240 Seiten, 24€ . red