Essen. Die Konturen des Bundesinstituts für Fotografie bleiben diffus: Kein Termin für die Gründungskommission, maximale Anforderungen, limitiertes Geld.
Die „breit besetzte“ Gründungskommission für das vom Bundestag beschlossene Deutsche Foto-Institut sollte eigentlich schon längst getagt haben, im Januar. Doch derzeit gibt es noch nicht einmal ein Datum für deren konstituierende Sitzung. Was nicht zuletzt an den Terminkalendern der beiden beteiligten Ministerinnen Claudia Roth (Kultur und Medien im Bund) und Ina Brandes (Kultur und Wissenschaft in NRW) liegen soll.
Vielleicht hat der zeitliche Verzug auch etwas damit zu tun, dass dem Projekt nicht unbedingt die höchste Priorität beigemessen wird. Dazu passt, dass Claudia Roth (Grüne) am vergangenen Wochenende zwar einen Impulsvortrag beim „Monat der Fotografie“ in Berlin zum Fotozentrum hielt – aber anfangs gleich klarstellte, dass sie im Anschluss „sehr, sehr schnell“ zur Kabinettsklausur nach Meseberg abrauschen müsse; allzu großes Bedauern darüber, dass sie die Diskussion des Themas verpasste, war ihr nicht anzumerken.
Sorge um die aktuellen Nachlässe von Fotografinnen und Fotografen
Die Fotografie, zitierte Claudia Roth Andreas Feininger, „sollte dem Betrachter idealerweise mehr zeigen, als er in der Wirklichkeit zu sehen vermag.“ Die Ausblicke der Ministerin auf das Ideal des Foto-Instituts blieben aber verschwommen. Zwischen den Vorstellungen der Düsseldorfer Foto-Instituts-Initiative um Andreas Gursky, bei der es in erster Linie um Standards und Zertifizierungen für großformatige Abzüge von (digitaler) Fotografie und womöglich auch deren Produktion ging, und dem Ansatz von Roths Vorgängerin Monika Grütters, der die Sicherung des nationalen Foto-Erbes verfolgte, liegen Welten. Auch beim „Monat der Fotografie“ wurde wieder klar, dass Nachkommen von Kamera-Profis dazu neigen, selbst wertvolle Nachlässe zu missachten oder gar wegzuwerfen. Und da Fotografie-Nachlässe wegen der diversen Materialien (Glasplatten, Negativ- oder Dia-Filme, Speichermedien) schwierig zu konservieren und nur aufwendig zu archivieren sind, fassen selbst Museen Foto-Nachlässe nur mit spitzen Fingern an.
Kultur-Staatsministerin Claudia Roth beschrieb in Berlin einen Maximal-Katalog an Aufgaben für das künftige Foto-Institut des Bundes:
– Es soll fotografische Vor- und Nachlässe analog wie digital sammeln sowie Texte zum Verständnis der Entstehung des Gesammelten;
– Techniken und Wissen zum Erhalt, zur Konservierung und Restaurierung des fotografischen Erbes sichern, weiterentwickeln und vermitteln. Ebenso „Standard-Wissen über Fotografie“, auch in „öffentlicher Präsentation“ – in Museen der gesamten Republik;
– in einem Netzwerk deutsche Museen mit Foto-Beständen unterstützen und
– „künftige Produktions-, Rezeptions- und Gebrauchsformen von Fotografie mitdenken“.
An der Erfüllung dieser Aufgaben „wird sich das Institut und demnächst auch die Gründungskommission messen lassen müssen“, so Roth.
Claudia Roth schreibt, zu „neuen Erkenntnissen“ gekommen zu sein, verrät sie aber nicht
Mehrmals betonte die Kultur-Staatsministerin, der Bundestag habe im Haushaltsausschuss eine „demokratische Entscheidung“ getroffen. Aber genau das bezweifelt eine „Bürgerinitiative Deutsches Fotoinstitut“. Sie fordert, „das Haushaltsgesetz 2023 zum Haushaltstitel ,Deutsches Foto-Institut Düsseldorf’ zu korrigieren. Das Zustandekommen des Beschlusses in einer Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses“ widerspreche allen parlamentarischen Regeln; nicht einmal der eigentlich zuständige Kulturausschuss des Bundestages sei mit dem Thema befasst worden.
Die Argumentation der Bürgerinitiative, die weite Teile der Foto-Szene hinter sich weiß, ist schwer von der Hand zu weisen. In der Tat fehlt bis heute jede sachlich-fachliche Begründung zur Entscheidung für Düsseldorf. In einem Schreiben an den Essener CDU-Bundestagsabgeordneten Matthias Hauer beruft sich Staatsministerin Roth auf „neue Erkenntnisse“, die zur Entscheidung für Düsseldorf geführt hätten – ohne zu präzisieren, worin diese Erkenntnisse bestünden.
Tatbestand der „Haushaltsuntreue“?
Dagegen hatten das Gutachten einer Experten-Jury (2020) und eine vergleichende Machbarkeitsstudie (2021) im Vorfeld der Entscheidung für Essen als Standort plädiert. Durch die Missachtung der beiden Gutachten könne der Tatbestand der „Haushaltsuntreue“ zulasten des Bundes (§ 266 StGB) erfüllt sein. Die Staatsministerin habe „den Expertenrat, den sich ihre Amtsvorgängerin eingeholt hatte, nicht nur komplett ignoriert, sondern sogar ins Gegenteil umgekehrt“, schreibt CDU-Mann Hauer in dem Blog „Ruhrbarone“ und appelliert: „Noch ist es nicht zu spät, auf die Experten zu hören.“
Bezeichnend, dass sich eine Bürgerinitiative darum bemüht, die Standort-Entscheidung zu korrigieren, die nicht unwesentlich auf einem Verfahrens-Trick beruht. Gerüchten zufolge sollen ihn vor allem die beiden FDP-Abgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Düsseldorf) und Otto Fricke (Krefeld) vorangetrieben haben. Die Abgeordneten aus dem Revier dagegen scheinen auf die Wirkung der Gutachten vertraut zu haben. Die „Beschädigung der Kulturpolitik“, die in der Diskussion nach Claudia Roths Vortrag festgestellt wurde, mache es erforderlich, dass die Gründungskommission für das Foto-Institut mit maximaler Transparenz arbeite, angefangen bei ihrer Besetzung. Florian Ebner, Foto-Chef des Centre Pompidou in Paris, äußerte die Sorge, das Foto-Institut könnte „ein Humboldt-Forum der Fotografie“ werden, für das es eine Hülle, aber keinen klaren Auftrag, kein klares Profil gibt.
NRW-Kulturministerin Ina Brandes: „Erwartungen an das Geld anpassen“
Die Grenzen des Auftrags könnte indes der erklärte Wille von NRW-Kulturministerin Ina Brandes (CDU) setzen: In einem Interview mit der Zeitschrift „Kultur.West“ kündigte die aus der Baubranche in die Politik gewechselte Ministerin an, das von Bund und Land genehmigte Budget von 86 Millionen in jedem Falle einhalten zu wollen: „Man muss dann eben die Erwartungen an das vorhandene Geld anpassen. Wir können dieses Foto-Institut so planen, dass wir mit dem Geld hinkommen, das wir haben.“ Die Machbarkeitsstudie hatte das erforderliche Finanzvolumen indes – noch vor der Baupreissteigerung – auf 125 Millionen Euro beziffert. Die Foto-Szene fürchtet, dass bei den vielen Anforderungen an das Institut zuerst am Platz für Nachlässe gespart wird. Dabei müsse jetzt, sofort, eine Annahmestelle eingerichtet werden, an die sich Erben von Fotografinnen und Fotografen mit Nachlässen wenden könnten.
In Düsseldorf zeigte sich jedenfalls schon kurz nach Bekanntwerden des Bundestagsbeschlusses im November, dass sich der lange ins Feld geführte Instituts-Standort im Hofgarten (dem die Machbarkeitsstudie längst viel zu geringe Raum-Kapazitäten bescheinigt hatte) nicht realisieren lässt. Auf der Suche nach Alternativen war man auf das ehemalige Stadtmuseum gestoßen, dem Fachleute allerdings auch nur eine geringe Eignung bescheinigen. Auch in der Standort-Frage hängt die Einrichtung nach wie vor in der Schwebe.