Essen. Das „Einfamilienhaus“ der Krupp-Dynastie ist 150 Jahre alt – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnete das Festjahr für die Villa Hügel.
„Speisenfolge: Geflügelsuppe, Gekochter Rheinsalm, Rindslendenstück auf Gärtner-Art, Gefüllte Trüffeln, Houdan-Masthuhn auf dem Rost gebraten, Salat, Gedämpfte Tafelpilze, Englischer Sellerie, Pistazien-Gefrorenes, Käsestangen, Obst – Dessert“. Was Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier da zu
Beginn seines Grußwortes beim Festakt zu 150 Jahren Villa Hügel vorlas, war nicht die Menükarte des Abends, bei dem es für die geladenen Gäste kleine vegetarische Häppchen im Stehen gab. Es war auch nicht die Menükarte eines der allfälligen Staatsbankette daheim im Schloss Bellevue, es war die Verköstigung für Jubilare der Firma Fried. Krupp AG am 3. August 1912.
Der Bundespräsident nahm diese Jubilarfeier als Beispiel für eine moderne Unternehmensführung bei Krupp. Sie habe schon frühzeitig berücksichtigt, welche Rolle Respekt und Wertschätzung für Mitarbeiter spielen – was bis heute wesentlich geblieben sei für Unternehmen.
OB Thomas Kufen: Villa Hügel in den Bauakten ein „Einfamilienhaus“ mit 269 Zimmern
Freilich dinierten die 1912er-Jubilare nicht in der Villa Hügel selbst, die damals noch Wohnsitz der Krupps war (und in den Bauakten der Stadt Essen, ließ Oberbürgermeister Thomas Kufen süffisant wissen, trotz der 269 Zimmer auf 8100 Quadratmetern Wohnfläche als „Einfamilienhaus“ firmierte). Es wurde eigens für die Jubilarfeier eine Festhalle aufgebaut.
Mit dem Prunk und Protz der Villa wollten Alfred Krupp und seine Nachkommen ja auch eher Kaiser und Könige, Staats- und Regierungschefs beeindrucken, von der Leistungsfähigkeit seines Unternehmens überzeugen (weshalb hier stets modernste Technik eingebaut war) und vielleicht auch ein bisschen einschüchtern. Die Mächtigen und Hochwohlgeborenen seien hier „in fast selbstverständlicher Weise auf Augenhöhe“ empfangen worden, betonte auch Frank-Walter Steinmeier, so wie später auch die Bundespräsidenten durch „den unvergessenen Berthold Beitz mit großem Selbstbewusstsein“. Steinmeier sorgte mit seinem Besuch auf dem Hügel an diesem Abend dafür, dass nun wieder sämtliche Bundespräsidenten hier mindestens einmal zu Gast waren.
Theodor Grütter: Rheinischer Kapitalismus Gegenmodell zum Manchester-Kapitalismus
Was er noch „autokratischen Führungsstil“ und angesichts der Kruppschen Kranken- und Wohnungsbau-Fürsorge „wohltätigen Paternalismus“ nannte, sollte später der Historiker und Ruhrmuseums-Chef Prof. Theodor Grütter zum Gegenmodell zum Manchester-Kapitalismus adeln, es sei das Fundament für den „Rheinischen Kapitalismus“ gewesen, Krupps Sozialwesen sei die Blaupause für Bismarcks Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung gewesen. So richtig die Analyse war, dass Revolutionen mit diesem „sozialen Ausgleich“ verhindert wurden, so merkwürdig mutete die Vokabel zwischen den luxuriösen Vertäfelungen, Bronzereliefs und Wandteppichen an.
Frank-Walter Steinmeier sprach aber auch die „manchmal verhängnisvolle Verbindung“ an, die hier „immer wieder zwischen Staat und Wirtschaft gesucht und gefunden wurde.“ Also die Rolle als Waffenschmiede des Reichs vom deutsch-französischen Krieg 1870/71 bis zu den Vernichtungskriegen eines Adolf Hitler, dem nicht zuletzt Krupp zur Machtergreifung verhalf. Keine Festrede des Abends verschwieg die Schatten der Krupp-Geschichte, die freilich mit der Öffnung der Villa Hügel für Kunst- und kulturhistorische Ausstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg einen vorbildlichen Lichtpunkt gesetzt habe, wie Theodor Grütter heraushob „Die Ausstellungen brachten all das zurück, was die Nazis uns genommen hatten.“
Kuratoriumsvorsitzende Ursula Gather: „Ort der Transformation“
So richteten denn auch alle Festreden den Blick in die Zukunft, in der die Villa Hügel offener und ihre Eigentümerin, die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, volksnäher werden soll. Zu einem „Ort der Transformation“, wie Prof. Ursula Gather, als Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung das Ziel benannte. Gelingen soll das mit 150 Revier-Projekten im Festjahr (Fördersumme: 1,5 Millionen Euro), mit Filmvorführungen in der „Oberen Halle“ und einem Veranstaltungsprogramm im weitläufigen Hügel-Park. Die „Transmedia Echtzeit Installation“ des Kunst-Duos Joeressen+Kessner, für die der Bundespräsident an diesem Abend den Startknopf drückte, verweigert sich jeglicher naiver Festbeleuchtung. Mit einem Algorithmus projiziert sie in der Dunkelheit Daten und Geräusche der Krupp-Geschichte stark abstrahiert in schwarz-weißen, streifenfreudigen Musterverschiebungen auf die Villa Hügel. Sechs Wochen lang – immer dienstags bis sonntags ab Sonnenuntergang bis 22 Uhr. Jubilarfeiern gehören nicht zum Programm. Es soll ja in die Zukunft gerichtet sein.