Essen. Aktuelle Kino-Starts: Die Schweiz ohne Postkarten-Idylle, ein lustiger Film aus Jakutien und ein bewegender Streifen über Theater im Gefängnis.

Problem-Heimat-Kino aus der Schweiz, ein witziger Film aus Jakutien und Theater im Gefängnis: Es locken wieder einige Neuerscheinungen in die Kinos. Wir geben einen Überblick, welche Filme es wert sind, vor der großen Leinwand Platz zu nehmen.

„Drei Winter“

Anna und Marco lieben sich. Dabei haben die junge alleinerziehende Mutter und der maulfaule Kraftprotz aus dem Tiefland auf den ersten Blick nichts miteinander gemein. Aber der Sex läuft gut und bald darauf heiraten sie auch. Aber dann klagt Marco über Kopfschmerzen, bei der Untersuchung im Krankenhaus in der Stadt entdeckt man einen Tumor in seinem Gehirn. Der kann zwar operiert werden, aber seither ist Marco schwer angeschlagen. Und dann passiert etwas Furchtbares.

Ein Film aus den Schweizer Bergen, wo das Idyll nur in Fernsehserien und auf alten Postkarten existiert. Es ist deshalb der genaue Blick aufs unsentimentale Bauerndasein, der diesem Neo-Heimatfilm zu etwas dokumentarischer Härte verhilft. Der Rest des zweiten Spielfilms des Schweizers Michael Koch stützt sich arg selbstbräsig auf das offene Gesicht der noch unerfahrenen Hauptdarstellerin Michèle Brand. Deren Anna für eine, die es im zweiten Eheanlauf unbedingt besser machen will, auch in schlechten Zeiten. Eine Chemie zwischen ihr und dem arg tumben Kraft-Marco (Simon Wisler) bleibt auf der Leinwand aber behauptet.

Exemplarisch steht der Film für eine Produktionspolitik, die Filme mit öffentlichem Geld finanziert und im Anschluss in den Kulturmagazinen öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten als Meisterwerk zertifizieren lässt. Die Inszenierung um die Hauptdarstellerin herum gefällt sich zuvorderst in tiefenkontemplativen Betrachtungen archaischer Bauernimpressionen als Parallelwelterlebnis für Leute, die körperliche Arbeit sonst nur als Übungsreihe zur Selbstertüchtigung aus dem Fitnessstudio kennen. Dabei forcieren Koch und der Kameramann Armin Dierolf einen visuellen Entschleunigungsprozess, wie er in Gremien (die eidgenössische Einreichung für den Oscar) und Festivalzirkeln hoch geschätzt wird.

„Sibirisch für Anfänger“

Ein Zwölfjähriger tauscht ein Gewehr seines Vaters gegen das Fahrrad seines Freundes ein. Woanders eskaliert ein Nachbarschaftsstreit wegen eines Plumpsklos. Ein paar Häuser weiter geht einem Mann im Suff sehr viel Geld verloren und sein Nachbar kauft sich am nächsten Tag ein teures Auto. Und wer soll am Wahltag der neue Bürgermeister werden? Dann gibt es noch einen Autounfall mit Todesfolge, bei dem die Urheberschaft vertuscht werden soll. Und zuletzt sind da noch zwei Jäger, die sich um eine Ente prügeln.

Willkommen im jakutischen Lönneberga, wo der Humor trocken ausfällt und die Dinge stets eine unerwartete Wendung nehmen. Dank dieser filmischen Kurzgeschichtensammlung aus dem Hinterland von Putins Reich erfährt man ganz nebenbei einiges über die Einrichtung von Häusern, undiplomatische Konfliktlösungen, den Konsum von Wodka und dass auch am kältesten Ende der Welt mächtig geklüngelt wird. Das hat einen entwaffnenden Witz und ist schon deshalb eine Alternative zum mitteleuropäischen Problemkino.

„Ein Triumph“

Ein Triumph ist denkbar unwahrscheinlich, als der Schauspieler Étienne Carboni einen Theaterworkshop in einem Gefängnis übernimmt. Aber „Warten auf Godot“ wird zum Riesenerfolg. Bis sich das Blatt bei einem Gastspiel im Pariser Odeón plötzlich wendet. Wie selbst aus der größten Misere Großes entstehen kann, erzählt der französische Regisseur Emmanuel Courcol hier in einer charmanten, herzensklugen Komödie.

Die Kamera begleitet Étienne (Kad Merad, „Willkommen bei den Sch’tis“) auf dem Weg in den Hochsicherheitstrakt: ein Durchschnittstyp mit Bart und Schultertasche. Den Häftlingen begegnet er unbefangen: Jordan, Patrick, Kamel, Moussa und Alex sind hartgesottene Kriminelle, die lange Haftstrafen absitzen. Was passt da besser als Samuel Becketts absurdes Theater über das Warten und Hoffen, die Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins?

Der Film ist bei den Proben dabei, vom Lockermachen bis zur Premiere, was witzig ist und bewegend, hin und wieder denkt man an den „Club der toten Dichter“, also in einer Knastversion. Das Ende ist großartig und erinnert daran, dass der Film auf einer wahren Begebenheit beruht. Und einen richtig guten Beckett, den gibt es noch dazu.