Essen. Sarah Connor liefert mit „Not So Silent Night“ ein erfrischendes Album ab. Im Interview verrät die Sängerin, wie sie Weihnachten feiert.

Das originellste Pop-Weihnachtsalbum der Saison kommt dieses Mal von Sarah Connor. Statt sich in Besinnlichkeit zu wälzen, stürzt sich die 42-jährige Mutter von vier Kindern auch musikalisch voll ins Getümmel und hat mit „Not So Silent Night“ ein erfrischend chaotisches (und nach zwei deutschsprachigen Alben wieder auf Englisch gesungenes) Werk aufgenommen. Steffen Rüth unterhielt sich mit Sarah Connor über den Weihnachtsmann, Santorini, Saufgelage und die ukrainische Flüchtlingsfamilie, die seit März bei ihr im Haus wohnt.

Sarah, sind Sie schon in Weihnachtsstimmung?

Sarah Connor: Ja, jeden Tag ein bisschen mehr. Ich freue mich wirklich sehr auf Weihnachten. Vor allem für die Kinder ist Weihnachten immer ein besonders glitzernder und aufregender Zauber. Aber auch ich selbst kann mich der Magie dieser Zeit nicht entziehen.

Stressen Sie bei den Vorbereitungen, um ein perfektes Fest für die Familie zu organisieren?

Dass die Vorweihnachtszeit anstrengend ist, darum kommt man nicht herum. Egal, wie gut ich mich vorbereite, es wird auf jeden Fall Hektik ausbrechen. Und ich kenne keine Frau, die sich da nicht unter Druck setzt. Du möchtest, dass der Tisch schön aussieht, dass die Geschenke gut ankommen, dass es für alle ein schönes Fest wird, das so wirkt, als sei es ganz leicht wie von selbst und ohne Aufwand einfach so passiert. Was bei den allermeisten Leuten natürlich Quatsch ist.

Was mögen Sie am Weihnachtsfest am liebsten?

Am meisten freue ich mich darauf, gemeinsam mit den Liebsten ein paar schöne, kuschelige, gemütliche Tage zu verbringen. Zu entschleunigen, es gibt keine anderen Termine mehr, du musst nirgendwo hingehen, alle sind da – herrlich.

Und in irgendeinem Sessel schläft der Opa in der Unterhose ein, wie Sie im Lied „Not So Silent Night“ erzählen.

(lacht) Der Song beschreibt das komplette Chaos, das in unserer Familie typisch ist für Weihnachten. Plötzlich hast du das Haus voller Leute, der Weihnachtsmann kommt zu spät und hat eine Fahne, der Braten misslingt, der Hund pinkelt an den Baum oder beißt die Lichterketten durch – es gab bei uns schon die diversesten Pannen und lustigsten Momente zu Weihnachten.

Mieten Sie sich einen Weihnachtsmann?

Nein, zu uns kommt natürlich der echte (lacht). Unser jüngster Sohn ist fünf, ich muss aufpassen, was ich sage. Es kam tatsächlich jedes Jahr derselbe Weihnachtsmann zu uns, leider ist er vor anderthalb Jahren verstorben. Man konnte ihn nie erreichen, deshalb musste man ihn an Weihnachten immer direkt fürs nächste Jahr buchen. Im letzten Jahr kam er dann nicht, und wir waren sehr traurig, als wir erfuhren, dass er nicht mehr lebt. In diesem Jahr müssen wir noch gucken, wer seinen Job übernehmen kann.

Sarah Connor 2022, Not so Silent Night  Sonja Müller Universal Music
Sarah Connor 2022, Not so Silent Night  Sonja Müller Universal Music © Universal Music | Sonja Müller

Ihr Sohn Jax glaubt also noch an den Weihnachtsmann?

Ja. Wir alle glauben irgendwie an ihn. Selbst die Großen haben immer Ehrfurcht gehabt, wenn er hier war und haben brav auch im Teenageralter noch ihre Gedichte aufgesagt und sich rügen und loben lassen. Für uns alle ist es Teil der Magie, an das Märchen von Weihnachten zu glauben.

Sie haben das Album im Januar und Februar 2022 mit einer Reihe von befreundeten Musikern und Songschreibern, darunter Nico Santos, Kelvin Jones und Nico Rebscher, auf der griechischen Insel Santorini aufgenommen. Wie ist es dort im Winter?

Wundervoll. Wir hatten die Insel fast für uns alleine. Ein paar Cafés hatten auf, ein paar Esel liefen rum, und ich war natürlich auch ein paar Mal im Meer. Wir hatten 15 Grad und Sonne, es war wirklich saugemütlich und schön.

Besonders weihnachtlich hört sich das jedoch nicht an.

Stimmt, aber das machte nichts. Ich bin an dieses Album rangegangen wie immer: Ich habe mir überlegt, worüber ich schreiben möchte und mir ein paar sehr talentierte Kollegen eingeladen um mit ihnen zusammen Musik zu machen, die Spaß macht. 2021 war ein anstrengendes Jahr, und ich hatte keine Energie, um über die Zeit zu schreiben, in der wir gerade leben. Ich wollte etwas machen, das mich ablenkt. So kam die Idee mit dem Weihnachtsalbum auf. Anstatt die tausendste Cover-Version von White Christmas zu machen, beschloss ich, über meine eigenen Geschichten und Eindrücke von Weihnachten zu schreiben. Mit der musikalischen Power meiner Freunde, entstand dann in zwei Wochen diese verspielte und energiegeladene Platte.

Auch interessant

Sie haben zuletzt zwei Alben in deutscher Sprache gemacht. Passt Englisch für Sie besser zu Weihnachten?

Ich wollte Abstand gewinnen von allem, was verkopft ist. Auf Englisch zu texten geht mir einfach leichter von der Hand, man hat mehr Worte, die schön klingen und sich reimen. Die deutsche Sprache muss ich viel länger drehen und wenden, um jede Emotion, die ich ausdrücken will in passende geschmeidige Worte zu verwandeln, die sich klangvoll singen lassen. Auf Englisch kommt das bei mir alles viel natürlicher. Ich wollte vor allem auch eine Platte machen, mit der ich live im Konzert richtig absingen und Spaß haben kann.

Die Welt, die Sie auf „Not So Silent Night“ entwerfen, ist zumeist bunt, quirlig und vergnüglich. Mit der klassisch weihnachtlichen Besinnlichkeit haben Sie nicht so viel am Hut, oder?

Ich wollte ein Album schaffen, das unterhält und dir beim Hören die Möglichkeit gibt, abzuhauen und auszubrechen. Ich selbst sehne mich gerade nach Leichtigkeit und Spaß, und ich denke, den meisten Menschen geht es ähnlich. Sich einfach mal für eine Stunde unbeschwert zu fühlen, dabei soll die Platte helfen. Weihnachten ist alles erlaubt. Es ist die Zeit, wo der Alltag Pause hat. Und die Besinnlichkeit ist für mich ein Aspekt des Fests, aber es gibt noch viele weitere: Chaos, Liebe, Heimat, Trauer, Sehnsucht, der Umgang mit den Erwartungshaltungen, Party. Alle Gefühle und Stimmungen werden an Weihnachten potenziert. Alles fühlt sich noch stärker an als sonst.

Sie singen in „Christmas 2066“, dass Sie eine Optimistin sind, die davon ausgeht, dass sich die Dinge zum Guten entwickeln. Ist das auch im realen Leben so?

Ja, ist es. Sonst könnte ich mich doch gleich erschießen. Bis wir sterben, leben wir! Der Überlebensinstinkt ist unser Urinstinkt. Irgendwie haben wir es doch über die Jahrtausende immer wieder geschafft, uns anzupassen und neue Ideen zu entwickeln, um die extremsten Herausforderungen zu meistern. Ich habe vier Kinder, ich muss an das Gute glauben, daran, dass wir es schaffen das Ruder noch herumzureißen und unseren Kindern eine bewohnbare Erde zu hinterlassen! Ich glaube an die Menschheit. Denn was ist die Alternative?

Auch 2022 war wieder ein, freundlich ausgedrückt, herausforderndes Jahr. Gelingt es den Umständen, Ihre Zuversicht zu dämpfen?

Mal so, mal so. Es gibt auch Tage, an denen ich sehr traurig bin und mir große Sorgen mache. Es kommt vor, dass ich denke „Warum soll ich hier denn jetzt den Müll trennen und kein Plastik verwenden? Als kleiner, einzelner Mensch kann ich doch sowieso nichts ausrichten.“ Auf der anderen Seite gibt es keine Alternative dazu, bei sich selbst anzufangen. Wir haben die Verantwortung und die Pflicht, uns anzustrengen, uns und unsere Verhaltensweisen zu verändern. Auch wenn es unbequem ist, sind wir unseren Kindern schuldig, alles zu versuchen und ein gutes Vorbild zu sein.

Wer holt Sie da raus, wenn Sie der Weltschmerz überkommt?

Vor allem meine Kinder. Die machen vor, wie es geht, im Moment zu leben und sich über die kleinen Dinge des Augenblicks zu freuen.

Was kann man denn als einzelner Mensch ausrichten?

Natürlich bewusst leben und bewusst konsumieren. Wir können auch immer wieder gucken, was wir in unserem unmittelbaren Umfeld bewirken und wie wir anderen helfen können. Mit einer kleinen Geste, einer guten Tat kann jeder Mensch seinen eigenen Kosmos ein bisschen besser machen. Man kann sich auch dafür einsetzen, dass sich diese Haltung multipliziert und von anderen weitergetragen wird. Wenn jeder so denkt und handelt, können wir sehr wohl einiges erreichen.

Gelingt es Ihnen, gerade in der Weihnachtszeit, den Krieg und andere negative Realitäten auch mal auszublenden?

Phasenweise ja. Ich möchte informiert sein, lese viel, verfolge die Nachrichten. Aber nicht immer. Ich brauche auch Pausen für meinen Kopf, Zauber und Phantasie. Ich habe dieses neue Album deshalb gemacht, weil ich keine Lust hatte, über diese Zeit nachzudenken, in der wir leben und mir die Kraft fehlte, das alles zu analysieren und in Form von Songtexten zu verarbeiten. Dazu sind mir die Fragen gerade zu komplex.

Ist bei allen Routinen und Ritualen Weihnachten 2022 ein anderes Fest für Sie und Ihre Familie als die anderen?

Wir haben uns vorgenommen, dieses Jahr Geschenke-technisch ein bisschen zu reduzieren. Wir wollen das Bewusstsein dafür schärfen, dass es nicht selbstverständlich ist, Dutzende von Paketen aufzureißen. Auch, weil wir an Weihnachten Gäste haben, die in diesem Jahr fast alles verloren haben.

Auch interessant

Wer wird denn bei Ihnen sein?

In diesem Jahr ist eine ukrainische Familie dabei, die seit März bei uns wohnt – eine Mama mit ihren zwei Jungs, neun und fünf Jahre alt. Der Blick auf Weihnachten ist ein anderer, wenn du Menschen bei dir hast, die froh sind, einen Ort zum Schlafen zu haben, an dem sie sicher sind. Man bekommt eine andere Wertschätzung für Heimat und Zusammensein.

Sie hatten vor einigen Jahren schon eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien bei sich aufgenommen. Ist die Situation diesmal noch eine andere?

Ja, die syrische Familie, die zu uns kam, war von Jahren des Krieges gezeichnet und traumatisiert. Die Familie aus der Ukraine kam, wie so viele andere, nach einer oder weniger Wochen Krieg. Sie mussten ihren Mann und Vater zuhause im Krieg lassen, die Kinder haben auch erstmal nicht verstanden, warum sie jetzt hier sind. Sie wollten nach Hause. Und auch jetzt hoffen sie jede Woche, dass sie wieder zurückkönnen. Bis dahin wollen wir es den dreien so schön wie möglich bei uns machen. Die Kinder haben sich schon gut mit unseren angefreundet, hier im Haus ist gerade ab morgens um 7 Uhr noch viel mehr Action als sonst schon.

Haben Sie mit Ihrem Mann spontan entschieden, den Geflüchteten zu helfen?

Solche Aktionen sind immer meine Idee. Meinem Mann bleibt nichts anderes übrig, als mitzuziehen (lacht). Ich bin damals im März mit meinen großen beiden Kindern zum Berliner Hauptbahnhof gefahren. Wir haben uns diese gelben Warnwesten übergezogen und geholfen, haben den Geflüchteten gezeigt, wo sie hinmüssen, welche Übernachtungsmöglichkeiten es gibt, haben Essen und Trinken verteilt. Und dann begegnete uns die Mama, die jetzt bei uns wohnt. Sie war Filialleiterin in einer Bank, mit ihren beiden so müden Jungs. Ich fragte sie, ob sie wüsste, wo sie schlafen wird. Das wusste sie nicht, sie sagte, sie wolle in die Schweiz. Ich bot ihr dann an, erstmal bei uns zu übernachten. Das hat sie gemacht und ist geblieben. Meinen Mann habe ich auf der Rückfahrt vom Bahnhof angerufen und ihm gesagt: „Du, ich bringe jemanden mit.“

Wie hat er reagiert?

Cool. Er sagte: „Das habe ich mir schon gedacht“ (lacht). Um den Bogen zu der Frage nach den Nachrichten zu schließen – ich kann sie gar nicht ausschalten, denn der Krieg in der Ukraine ist tagtäglich sehr präsent und nachfühlbar in unserem Wohnzimmer. Lange Zeit konnten wir uns ablenken und entziehen, aber durch die Überflut an Informationen kommt man an den Krisen der Welt nicht mehr vorbei. Wir haben keine andere Wahl, als uns daran zu gewöhnen und die nötige Resilienz zu entwickeln, damit umzugehen.

Auch interessant

In „Christmas 2066“, Ihrem musikalischen Blick in eine positive Zukunft, erzählen Sie auch von den 22 Enkelkindern, die dann bei euch unterm Baum sitzen werden. Haben Sie mit den Kindern schon darüber gesprochen, was Sie von ihnen erwarten?

Nein, die wissen zum Glück noch nichts von meinen Plänen (lacht). Im Moment will meine jüngste Tochter Phini unbedingt noch eine kleine Schwester.

Und?

Ich habe ihr gesagt: „Nein, ich bin fertig. Ich warte jetzt auf eure Kinder“.

Tyler, Ihr Ältester, ist 18, Ihre Tochter Summer 16.

Und beide sind schon aus dem Haus! Im August sind sie quasi gleichzeitig nach England gegangen. Ich kam nach meiner Riesentournee heim, und weg waren sie. Die Familiendynamik hat sich total verändert.

Was machen die beiden in England?

Der Große studiert Musik, und meine Tochter ist auf einer Schule für Tanz, Musik und Schauspiel.

Ihre Tochter Phini ist elf und singt in „Christmas 2066“ mit Ihnen zusammen. Wessen Idee war das?

Das war meine Idee. Ursprünglich hatte ich an einen Kinderchor an der Stelle gedacht, da der Song ja das Klimathema streift, an unsere Verantwortung appelliert und dann die Perspektive der jungen Generation einnimmt, die sich wünscht, auch 2066 noch um einen echten Baum zu tanzen. Phini sollte eigentlich nur die Zeilen einsingen, damit ich hören kann, wie das an der Stelle kommt. Das hat sie gemacht, und es klang einfach wunderschön. Natürlich wollte sie dann auch selbst im Video dabei sein. Normalerweise bin ich streng „Vor 16 nicht in die Öffentlichkeit“, aber Phini war so stolz und hat es einfach klasse gemacht, darum haben wir eine Ausnahme gemacht.

Deutlich erwachsener ist die Nummer „(1,2,3,4) Shots Of Patron“, in der es, man kann es kaum anders sagen, um ein Besäufnis geht.

(lacht) Die Geschichte ist inspiriert von unserer Weihnachtsparty im vergangenen Jahr, die total eskaliert ist. Da ich letztes Jahr noch bis kurz vor Weihnachten „The Voice“ gemacht habe, hatte ich keine Zeit, was zu organisieren. Also hat sich mein Mann um die Einkäufe gekümmert und den Fokus auf den Alkohol gelegt.

Und welchen Alkohol gab es?

Tequila. Es ist schnell völlig ausgeartet.

Wann stieg diese epochale Party?

Wie immer kurz vor Weihnachten. Wir brauchten zwei, drei Tage, bis wir wieder hergestellt waren. Wir hatten den Kater gerade überstanden, und dann war auch schon Weihnachten.