Unna. Die Kunstwerke mit dem Schalter geraten in Zeiten der Energiekrise unter Druck. Aber im Lichtkunst-Zentrum Unna gibt es neue Gründe zum Staunen.
Wie kein anderes Genre sieht sich die Lichtkunst in diesen Tagen des Energiespargebots unter besonderem Rechtfertigungsdruck. In Berlin ist bereits eine Leuchtschrift von Dan Flavin am Hamburger Bahnhof öffentlichkeitswirksam abgeschaltet worden. „Aber jedes normale Verwaltungsgebäude“, beeilt sich John Jasper denn auch zu versichern, ohne dass ihn jemand danach gefragt hätte, „hat fünf- bis neunmal mehr Bedarf an künstlichem Licht als wir.“
Der Chef des Zentrums für Internationale Lichtkunst in Unna könnte auch noch darauf hinweisen, dass auch die allermeisten Museen weit mehr Licht brauchen als das in Unna – denn damit man die Werke im Kühlkeller der ehemaligen Linden-Brauerei überhaupt sieht, muss es dort ja hauptsächlich dunkel sein. Angeschaltet werden die Werke ohnehin nur, wenn Publikum da ist – durch Bewegungsmelder. Und heizen für die Kunst muss man hier unten auch nicht, weshalb sich auch eine Garderobe erübrigt.
57.600 LEDs vor dem Museum
An einem von fünf Neuzugängen, die das Museum nun unter dem Begriff „Hypersculptures“ feiert, lässt sich freilich auch ablesen, wie wenig man der Lichtkunst mit dem Blick auf den Stromzähler gerecht wird. Da steht nun vor dem Museum ein übermannshoher Glaswürfel, in dem 57.600 scheinbar fröhlich herumtanzende LEDs den unverbindlichen Titel „Lichtphänomene“ für das Werk der Niederländerin Giny Vos auf den Punkt bringen: das Wandern der Lichter, ihr steter Wechsel der Farben schlägt in den Bann, stimuliert die Phantasie, die sofort im Gedächtnis nach bildhaften, gegenständlichen oder figürlichen Entsprechungen kramt
Das Werk von Giny Vos. „Überskulptur“ hin oder her, ist ein mehrfacher Gewinn: Die hier beginnende Altstadt-Fußgängerzone erhält eine Landmarke – ebenso wie das Museum, das sich ja unter Tage befindet, mit einer denkbar unauffälligen Eingangs-Tür zum Keller-Abgang im Foyer eines Multifunktionszentrums mit Bücherei, Stadtarchiv, Touristeninformation und Volkshochschule. Aber auch der Lindenplatz davor bekommt eine ganz neue Aufenthalts-Qualität, wenn die „Lichtphänomene“ Passanten zum Staunen anhalten lässt. „Und wenn es die ersten zwei, drei Monate ohne Vandalismus übersteht“, zitiert ein hoffnungsvoll lächelnder John Jasper die Monteure des Glas-Kubus mit einschlägigen Erfahrungen, „dann wird auch später nichts mehr passieren.“
Der Platzmangel ist das Problem
Die anderen neuen Werke malen im Keller auf sehr unterschiedliche Weise mit Licht: Christine Sciulli aus New York projiziert Strahlen auf Stoff- und Gaze-Fetzen, die sie ans Deckengewölbe gehängt hat. Es dauert eine Weile, dann entwickelt ihr „Ferment“ große Assoziations-Qualitäten, die an Leben in Unterwasserwelten oder Höhlen denken lassen; bei der Licht- und Soundinstallation der britischen Gruppe Squidsoup, die 4000 Leuchten an Fäden in den Raum gehängt hat. Im 12-Minuten- Loop beginnt das Licht erst zu tropfen, bevor es am Ende die Sinfonie einer Großstadt zu simulieren scheint.
Aus den unterschiedlich schnell rotierenden Zehn-Meter-Bändern von Philip Vermeulen ergeben sich durch den Lichteinfall variierende, faszinierend viele optische Muster, während Julius Stahl, Träger des Dortmunder DEW21 Kunstpreises 2015, mit Hilfe von „Resonanzapparaten“ Klang in Licht verwandelt. Dass dafür Christian Boltanskis beeindruckender „Totentanz“ vorübergehend weichen musste, zeigt, dass nicht der Strom, sondern der mangelnde Platz das akuteste Problem des Lichtkunstzentrums ist.
Zur Ausstellung
2001 gegründet, ist das Zentrum für internationale Lichtkunst in Unna das einzige Museum weltweit, das sich ausschließlich dieser Kunstform widmet.
Die Ausstellung wird mit Führungen besucht, die wochentags um 13 und um 15 Uhr beginnen, am Wochenende dagegen von 11 bis 16 Uhr stündlich. Eintritt: Bis zu 12,50 Euro. Die „Hypersculptures“-Ausstellung läuft bis zum 30. April 2023.