Dortmund. Einst ein Erfolgsstück, heute selten gespielt. Halévys „La Juive“ ist an Dortmunds Oper zu sehen, musikalisch hochrangig, szenisch eher schlaff.
Als 1835 Fromental Halévys „La Juive“ aus der Taufe gehoben wurde, folgten dem Jubel in Paris hunderte Aufführungen. 1965 war das gleiche Werk Reclams ehrenwertem Opernführer keine einzige Zeile wert. Auch Kunst hat ihre Zeit. Einer der vielen Wiederbelebungsversuche fand am Sonntag in Dortmund statt. Für ein langes Leben dürfte er nicht reichen. Die Premiere musste auch ein Weckruf für den Intendanten sein: kaum ein Drittel der Plätze besetzt, und in der Pause gingen auch noch Leute.
Mit Corona und Folgen von Krieg und Krise stecken unsere Bühnen vielleicht in der größten Kalamität seit Bestehen der Bundesrepublik. Es kommen viel weniger Menschen, kulturelle Neigung und Bildung sind im Sinkflug. Ist also wirklich noch die Zeit für Orchideenpflege?
Halévys „La Juive“ feierte Sonntag an der Oper Dortmund Premiere
Wenn diese Jüdin bannende Blüten trüge! Leider aber sind die dreieinhalb Stunden ein szenisch dürftiger, oft langweiliger Abend, über dessen Ödnis musikalische Meriten nicht hinwegtrösten konnten. „Die Jüdin“, dies noch, ist gar keine: Der Goldschmied Éléazar rettete Rachel einst das Leben. Sie ist das Kind eines Kardinals, Vertreter jener Christen, die des Ziehvaters Familie auslöschten. Die Story ist wild und zu Recht lässt sie uns befangen auf ein Geflecht rivalisierender Gefühle blicken, in dem der Jude den Christen-Hass nie ablegen kann und doch in seiner Brust Barmherzigkeit als zweite Seele schlägt.
Einst wurde die Oper, die mitreißende Chöre, betörende Duette, hochraffinierte Terzette und Quartette birgt, wie Zirkus ausstaffiert, lebendes Getier inklusive. Karg ist die Bühne heute: Den angeschmuddelten Kasten entwarf Martina Segna. Sie blieb, Regie-Partner Lorenzo Fioroni entband man unlängst von seiner Aufgabe. Sybrand van der Werf sprang spät ein, wohl auch ein Grund, dass der Abend mehr szenische Nacherzählung als kluge Deutung ist. Man steht, singt, man kniet, singt. Der Chor muss rund ums spätmittelalterliche Konzil neckische Tänzchen aufführen. Und wo dauernd von Königen und Kardinälen die Rede ist, trägt man Gegenwartskleidung (Annette Braun), sorgen Statisten der „Polizei NRW“ für Ordnung. Ein Wirrwarr, eine Leitplanke fürs Publikum gewiss nicht.
Herausragende Stimmen retten in Dortmund eine müde Inszenierung
Aus dem guten Ensemble ragen neben dem sehr sensibel die Klangwelten Halévys erfühlenden Chor mit Enkelada Kamani (Eudoxie) und Barbara Senator (Rachel) Stimmen von internationalem Rang heraus. Mirko Roschkowskis Éléazar zeigt lyrische Klasse, tenorale Attacken fordern ihn. Eine Entdeckung: Sungho Kims Léopold: ein Tenor mit Schmelz, Kraft, Stil.
Das fünfaktige Schlachtschiff lassen Dortmunds Philharmoniker (mit köstlichen Soli) unter Philipp Armbruster qualitätsvoll zu Wasser. Wer geblieben war, applaudierte herzlich.