Die Klimaaktivisten sind verzweifelt. Aber sie haben die falsche Strategie, wenn sie sich an Kunstwerke oder an die Straße kleben. Eine Analyse.
Man kann sich die Verzweiflung und bei denen, die sich „Letzte Generation“ nennen und manchmal auch so fühlen, wahrscheinlich gar nicht groß genug vorstellen. In ihnen gären Wissen, Ohnmacht und Wut. Dazu noch der unbändige Überlebenswille junger Menschen, die mehr Zukunft vor sich haben als die meisten, die gerade darüber entscheiden.
Auch wenn niemand exakt wissen kann, wie sich die von Menschen befeuerte Erwärmung des Planeten in Zukunft auswirken wird: Die zunehmenden Naturkatastrophen und Extremwetterlagen sind, wenn es schlecht läuft, nur ein Vorgeschmack auf eine Zeit, in der wir damit überfordert sein könnten, die Folgen des Klimawandels technisch, finanziell, gesellschaftlich oder gar menschlich in den Griff zu bekommen.
Sozialen und politische Systeme werden vor ungeahnte Belastungsproben gestellt
Und die gegenwärtigen Fluchtbewegungen zeichnen vor, dass unsere sozialen und politischen Systeme vor ungeahnte Belastungsproben gestellt sein werden, wenn aus unfruchtbar oder unbewohnbar gewordenen Teilen der Welt Menschen in Massen aufbrechen, um genau dort ein besseres Leben zu finden, wo sich der Klimawandel mitunter auch in angenehm milden Novembertemperaturen niederschlägt.
Manche, die sich hierzulande für den Schutz des Klimas einsetzen, haben das Gefühl, sie würden nur die Liegestühle auf dem Deck der Titanic hin und her bewegen anstatt das Ruder auf der Kommandobrücke herumzureißen. Unser politisches System – und erst recht die Aushandlung und Umsetzung internationaler, ja globaler Abkommen – ist nun mal eher ein Supertanker mit superlangen Bremswegen und nicht gerade großstadttauglichem Abbiegeverhalten. Wer ein möglichst schnelles Umsteuern erreichen will, muss schon deshalb den größtmöglichen politischen Druck aufbauen.
Anti-Atom-Bewegung hat Wasserwerfer und Polizeiknüppel ausgehalten
Die deutsche Anti-Atomkraft-Bewegung hat fast ein halbes Jahrhundert gebraucht, um das Abschalten der Kernkraftwerke zu erreichen (weshalb der fundamentalistische Widerstand gegen ein paar Monate mehr Laufzeit für drei Meiler heute so grotesk wirkt). Sie hat Gleise blockiert, zivilen Ungehorsam eingesetzt, in Brok- und Wackersdorf Wasserwerfer und Polizeiknüppel ausgehalten. Unsere Demokratie wiederum hat diesen Protest und Widerstand ausgehalten, auch wenn die Ablehnung der Atomkraft anfangs noch eine Minderheitenmeinung war.
Aber dass wir den Klimawandel bremsen müssen, dass wir möglichst viele Klimakatastrophen verhindern müssen, ist längst Konsens bei uns. Er wird nur noch von Menschen bestritten, die aus Angst um Komfort und Wohlstand ihre Augen vor der Realität und wissenschaftlichen Erkenntnissen verschließen wollen. Um wie viel mehr müssen sich bei dieser theoretischen Einigkeit im Lande die Klima-Aktivisten im Recht fühlen bei all dem, was sie tun, um praktische Schritte zur Reduzierung von CO2 und Methan zu erzwingen. Sogar Gebär-Streiks sind schon ausgerufen worden, Frauen lassen sich sterilisieren, weil sie jedes weitere Kind auf diesem Planeten nur für eine Belastung halten. Es scheint auch so etwas wie eine radikal nüchterne Verzweiflung zu geben.
Die Kunst ist nicht verantwortlich für den Klimawandel
Der Antrieb der ohnmächtigen Aktivisten mag nachzuvollziehen sein, wenn sie van Goghs „Sonnenblumen“ mit Tomatensuppe attackieren, weil diese Gesellschaft mehr für den Schutz von gemalten Pflanzen zu tun scheint als für den von Pflanzen in freier Natur. Aber solche Aktionen sind strategisch dumm. Die Kunst ist weder verantwortlich für den Klimawandel noch sträubt sie sich gegen Maßnahmen zum Klimaschutz. Die Kunst wird zur unschuldigen Geisel. Mit deren Folterung die Erpresser ihrem politischen Ziel allerdings keinen Millimeter näherkommen werden. Im Gegenteil, sie diskreditieren mit dem unlauteren Mittel sogar ihre lauteren Ziele. Zumal Menschen, die Museen besuchen und Kunst schätzen, grundsätzlich sogar eher mit Maßnahmen für den Klimaschutz einverstanden sind als Kunstverächter.
Am Ende entsteht gar der Eindruck, die erregte Aufmerksamkeit durch Festkleben von Körperteilen an Rahmen und Glasscheiben könnte zum Selbstzweck geworden sein, weil das Spektakel lauter ist als jede beabsichtige Botschaft. Und ganz gleich, wie sehr der Hirntod der Radfahrerin in Berlin mit der Straßenblockade im Namen des Klimaschutzes zusammenhängt – schon die bloße Möglichkeit sollte allen klarmachen, dass ziviler Ungehorsam, Blockaden und Proteste keine Unschuldigen treffen dürfen.
Mittel und Strategien des Protests sorgfältig überdenken
Wenn die Klimabewegung die Mittel und Strategien ihres Protests nicht sorgfältig überdenkt, wenn sie nicht zu nachvollziehbar symbolträchtigen Aktionen (wie das Greenpeace vorgemacht hat) kommt, wird sie noch mehr Sympathien verlieren.
Wirklich helfen werden beim Klimaschutz ohnehin nur gesellschaftlich, politisch und vor allem international vereinbarte Standards. Alles andere kommt über Symbolpolitik nicht hinaus. Die kann, wenn sie gut ist, immerhin dabei helfen, die Standards von morgen besser zu machen. Wenn nicht, ist sie überflüssig. Oder nur Therapie gegen die Verzweiflung.