Dortmund. Der coole Blick des Choreografen Jean-Christophe Maillot auf Shakespeares „Romeo und Julia“ wurde im Dortmunder Opernhaus mit Ovationen gefeiert.

Pater Lorenzo bleibt bis zum bitteren Ende, hält Julias Hand, bevor sie sich vor Romeos Leichnam ebenfalls das Leben nimmt. Immer wieder hatte der junge Mönch die beiden vor einem Unheil gewarnt. Sie verstehen die Warnungen nicht – selbst nicht ein Puppenspiel des Paters, in dem er die Morde von Tybalt und Romeo vorwegnimmt.

Einen ungewöhnlichen Blick auf Shakespeares Tragödie mit dem berühmtesten Liebespaar der Weltliteratur wagt Jean-Christophe Maillot. Der französische Choreograph (Chef des Ballet de Monte Carlo) entwickelte bereits in den späten 1990ern diese lyrische Fassung zur dramatisch packenden Ballettmusik von Sergej Prokofjew – mit reduzierten Bildern in ästhetischen Schwarz-Weiß-Kontrasten, die jetzt in Dortmund zu erleben sind. Die Produktion wird europaweit (neben John Crankos Stuttgarter Choreographie) fast als Klassiker gehandelt. So wurden Tänzer und Team nach der Premiere im beinah ausverkauften Opernhaus mit Ovationen gefeiert.

Ernest Pignon-Ernest schafft coole Designs mit Wolkenbildern und Schiebe-Wänden

Keine historisierenden Kostüme mit Renaissance-Anleihen, keine alten Gemäuer auf der Bühne. In dieser Inszenierung (Bühne: Ernest Pignon-Ernest) dominieren coole Designs mit Wolkenbildern und weißen Schiebe-Wand-Elementen, zwischen denen das jugendliche Liebespaar, ihre Familien und Freunde ihre Bahnen ziehen. Sie rennen ausgelassen, machen Scherze, kämpfen aber auch. Aus Spiel wird plötzlich bitterer, tödlicher Ernst.

Maillot kam zwar selber nicht zur Premiere. Er hatte lediglich vor Probenbeginn die Dortmunder Tänzer-Besetzung für seine Deutung ausgesucht. So treten als Protagonisten ein empfindsam zartes Paar auf – Sae Tamura (Julia) und Filip Kvacák (Romeo). Die schwärmerischen Liebes-Pas-de-deux in der Balkonszene sind tänzerisch stark, doch Kvacák als Romeo steigert während des Abends weder seine Ausstrahlung noch seine Bühnenpräsenz.

Javier Cacheiro Alemán als Tybalt überzeugt tänzerisch am meisten

Es ist eher Julias Bruder Tybalt, der die Szene dominiert. Körperlich, tänzerisch und schauspielerisch überzeugt Javier Cacheiro Alemán als Tybalt am meisten. Anders als der zurückhaltende, vorsichtige Romeo gibt Startänzer Alemán den breitbeinigen und selbstverliebten Macho, der zu jedem Kampf bereit ist. Alemáns Sprungkraft untermauert seine Allüren. Zumal er jedes lockere Schulterklopfen, jede sportliche Annäherung von Romeos Freunden Mercutio und Benvolio abwimmelt, in ihnen eine Gefahr wittert, sie mit lauernder Feindseligkeit quittiert. Dass Tybalt, der Romeos Freund Mercutio eher zufällig mit einem Schlagstock tötet, stärker wirkt als Romeo (obwohl Romeo ihn aus Rache tötet), betont Maillots Choreographie.

Insgesamt setzt er auf ausgefeilte, neoklassische Tanzkunst und verzichtet auf ältlich tümelnde Pantomime. Stattdessen beschränken sich Romeo und Julia auf wellenförmige Bewegungen von Körper und Armen, die sich wie ein Leitmotiv durch die drei Akte ziehen. Immer präsent auch der junge Mönch (Simon Jones), der mit Kassandra-Blicken die Tragödie begleitet. Isabelle Maia (Lady Capulet) und Giuditta Vitiello (Amme) vereinen zudem Ballerinenkunst mit Ausdruckskraft.

Zum Erfolg tragen ebenfalls Dortmunds Philharmoniker bei: Unter dem feinnervigen, dann zupackenden Dirigat von Olivia Lee-Gundermann erlebt man einen aufwühlenden Prokofjew – reich an dramatischer Spannung und lyrischem Schmelz.