Duisburg. Senta im Sperrsitz! Die Rheinoper schickt Wagners „Der fliegende Holländer“ ins Kino. Es gibt viel Remmidemmi bei recht wenig neuer Erkenntnis.

In Kino 4 läuft schon wieder der alte Schinken. Schwarz-Weiß, Genre Horror mit Herz. Untoter (Heimat unbekannt) tauscht mit geldgierigem Seefahrer (Norwegen) Schatz gegen Tochter. Wer will sowas schon sehen? Bloß eine. Die heißt Senta, rennt seit der Grundschule in jede Vorstellung, hat sich sogar ein Hoodie drucken lassen: „Der Fliegende Holländer“.

Das Einzige, was die Neudeutung der Rheinoper am Sonntag bewiesen hat: Auch im Multiplex lassen sich Meisterwerke mühelos schrumpfen. Vasily Barkhatov steckt Wagners romantische Oper ins Kino-Korsett. Anfangs ist das nicht einmal ohne Charme, wenn auch unter heftiger Ignoranz des Originals erzählt. Eine kaputte bürgerliche Familie spielt beim Lichtspielhausbesuch heile Welt. Allein, kaum flimmert es auf der Leinwand, fummelt die Mutter (bei Wagner die Amme des Kindes) mit einem aus der anderen Reihe. Später wird sie dem Mädchen ein paar Scheine Schweigegeld in die Hand drücken. Vater mampft und verdrängt. Das Kind aber bekommt durch den Film (Handlung siehe Kino 4) den Knall seines Lebens: Es gibt noch Männer, die größer sind als Papas Portemonnaie. Und wenn man ihnen ewig treu ist, dann kann man ihnen toll aus der Patsche helfen. Nun geht Sentas Sippe ans Werk: Man heuert den Schauspieler an, dem Kind alle Illusion zu nehmen...

Premiere Rheinoper Duisburg: „Der fliegende Holländer“ spielt in einem Kino

Zweieinviertel pausenlose Stunden kettet Barkhatov Solisten, Statisten und den (sehr tapferen und guten) Chor an sein Konzept einer pervertierten Traumfabrik. Das Ergebnis ist flach – ermüdend, weil erschlagend. Spätestens, wenn Senta und die ihren ins Licht des Kino-Foyers treten, ruft Barkhatov zur gnadenlosen Materialschlacht. Fast mitleidig sieht man, wie er sich an Textfetzen des Librettos klammert, sein heilloses Überladen zu legitimieren. „Du seht Ihr! Immer vor dem Bild!“: Sentas monotones Cineastinnendasein. „O macht dem dummen Lied ein Ende, es brummt und summt nur vor dem Ohr!“: die Handy-Sucht der Kinobesucherinnen (im Original am Spinnrad in der Stube). „Von der Mannschaft keine Spur!“: Was für ein guter Grund, Fans des FC Sjomann (Seemann) vorm Großbildfernseher über die balltretenden Nieten auf dem Platz fluchen zu lassen.

Apropos: Zugeballert wird die Bühne von Zinovy Margolin – Kinderkarussell, Kebapstand, Spielautomat. Leider ist es so, dass in dieser Inszenierung auf einen Zentner Einfälle ein Popcörnchen Erkenntnis kommt. Oder ist das unentwegte Remmidemmi eine Verzweiflungstat, das junge Publikum zu locken? Kann schon sein, dass eine Abordnung von Menschen mit Aufmerksamkeitsproblem durch das permanente Tingeltangel bei der Stange gehalten würde. Stört allenfalls das Gesinge.

Vasily Barkhatovs Regie gleicht einer Materialschlacht, kaum Erkenntnisgewinn

Enttäuschend zudem, dass ein jüngerer Regisseur wie Barkhatov derart ausgelutschte Rezepte wie die biografische Vorgeschichte aufkocht: Dass Opernhelden von Elsa bis Isolde eine schlimme Kindheit hatten, ist im europäischen Regietheater längst Dutzendware.

Nein, ein ozeanischer Untergang ist dieser Abend nicht, eher eine Pfütze mit flüchtig schimmerndem Ölteppich drauf. Umso wuchtiger, auftrumpfender das Dirigat Patrick Langes. Fiebrig federnd lässt er Duisburgs Philharmoniker (im Blech nicht makellos) die Partitur durchmessen, hochgespannt und immerzu spannend. Und wo zu laut, da herrlichster Lärm! Viel Beifall.

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SÄNGER HALTEN TAPFER DURCH

Das Ensemble singt sich wacker durch das aufgeblähte Regie-Rinnsal. Gabriela Scherer ist keine begnadete Darstellerin, aber ihr Senta-Sopran lässt jene Lyrik und Verletzlichkeit hören, über die die Inszenierung kalt hinwegrollt. Sentas Vater ist Hans-Peter König, als Daland auch im Herbst seines Sängerlebens noch ein Ereignis. James Rutherfords Holländer (bedauernswert ausgestattet wie Harry Potters Hagrid) hat seine bestechendsten Momente, da das Gespenst Herz zeigen darf. Norbert Ernst, als Erik Sentas abgewiesener Verehrer, müht sich sängerisch gegen die alberne Ausstattung als pizzafressender Security-Scherge. Eine Entdeckung: David Fischer, der die kleine Rolle des Steuermanns mit kerngesundem Tenor leuchten lässt. Da ist viel Potenzial: Held und Poet dazu.