Essen. Dr. Ludger Stratmann im Gespräch mit Gerburg Jahnke über den Schatten der Missfits, Eitelkeit bei Komikern, Kleinkunst und eine Alternativ-Kulturhauptstadt.
Es war mir vergönnt: Ich durfte eine der großen Damen des deutschen Kabaretts, Gerburg Jahnke, die überlebende „Miss Fit“ der legendären Missfits, in idealer Umgebung treffen – im Ebertbad Oberhausen. Morgens um 11 allerdings, eine harte Zeit für Kleinkünstler. Aber diese Frau ist präsent: charmanter, leicht überlegener Blick. Nun ja, Rot-Weiß Oberhausen hat am Vorabend gewonnen, und der Verlobte, Ebertbad-Intendant und Fußball-Präsident, sorgt für den Kaffee.
Ludger Stratmann: Liebe Gerburg, erstmal danke für das Gespräch auf der Bühne des Ebertbades. Bissken Theater muss ja sein. Was erwartest du eigentlich von so einem Interviewer, außer dass er nicht riecht, nicht frech wird oder besoffen ist?
Gerburg Jahnke: Erstens Pünktlichkeit, denn das wird von uns ja auch immer verlangt. Und dann Vorinformiertheit: Wenigstens das, was im Internet steht, sollte er schon mal gelesen haben.
Ludger Stratmann: Ich wurde mal gefragt: „Stimmt es, dass Sie richtiger Arzt waren?“ Ist dir schon mal die Frage untergekommen: „Und Sie waren eine von den Missfits?“
Gerburg Jahnke: Nein, die noch nicht. Wohl aber: „Wer ist denn von Ihnen Frau Jahnke und wer ist Frau Überall?“ Oder: „Sie arbeiten nicht mehr als Missfits?“ Dabei haben wir uns vor über drei Jahren getrennt.
Ludger Stratmann: Aber das Image wirkt nach, oder?
Mehr von Jahnke & Stratmann
Am 12. Dezember feierte das Stück „Kalte Colts und heiße Herzen“ unter der Regie von Gerburg Jahnke im Ebertbad Oberhausen Premiere. Weitere Aufführungen im Dezember, Januar und März: www.ebertbad.de. Tags darauf – am 13. Dezember – war Frau Jahnke im WDR-Fernsehen in der Kabarett- und Comedyshow „Fritz & Hermann – Best of“ zu sehen; am 28. Februar strahlt der Sender ihre „Ladies Night“ aus. Mit ihrem unterhaltsamen Programm „Lappen weg“ kommt die Kabarettistin am 27. Februar in den Saalbau nach Witten und am 1. März ins Musiktheater im Revier nach Gelsenkirchen. Im Oberhausener Ebertbad singt und trinkt Frau Jahnke am 28. Februar mit dem DamenLikörChor Hamburg. Lachen auf Rezept gibt es bei Doktor Stratmann im Stratmanns Theater in Essen: Mit seinem Programm „Machensichmafrei, bitte!“ geht Ludger Stratmann in die letzte Runde (4.-7., 18.-21. Dezember, 21.-30. Januar, 1./7./8./12./ 13. und 19.-22. Februar). Im November feierte der weltweit erste Comedythriller nach Alfred Hitchcock, „Die 39 Stufen“, im Stratmanns Theater Premiere. Eine rasante Glanzleistung des neu gegründeten Stratmann Ensembles „Jung, mittellos, aber einfallsreich“, die vom 26. bis 31. Dezember zu sehen ist (weitere Termine: 15.-18. Januar, 5./6./25. Februar, 18./19./25. März). Die skurrile Weihnachtscomedy „Der Messias“ gibt’s nur im Dezember und immer nur dienstags. Weiter im Programm: die Komödie „Männerhort“ und das Stück „Caveman“ – angeblich besser als jede Paar-Therapie. Weitere Infos: www.stratmanns.de
Gerburg Jahnke: Der Missfits-Schatten ist schon sehr lang. Aber dafür bekomme ich bei meinen Projekten auch viel Vorschussvertrauen. Fernsehen mache ich im Moment zwar relativ wenig, gerade ausreichend, um mich im Gespräch zu halten. Ich gehe in gemischte Kabarettsendungen und moderiere jetzt auch eine Frauenkabarett-Sendung. Der WDR hat sich ja endlich entschlossen, so was zu machen.
Ludger Stratmann: Die Zeit der Emanzen ist ja jetzt fast vorbei …
Gerburg Jahnke: Als wir laut über die Beziehungen zu Männern nachgedacht haben, war das noch selten: Die meisten Kabarettistinnen haben Chanson gemacht – und die Männer haben die politischen Themen besetzt. Dadurch waren wir ziemlich exklusiv. Die Männer haben das dann auch für sich entdeckt, mit Caveman zum Beispiel, und damit war das Private dann endgültig im Kabarett angekommen. Aber die jungen Frauen, die jetzt kommen, die beschäftigen sich auch mit ihrem sozialen Umfeld und ihrer Wirklichkeit als Frau. Manche wagen sich auch in politische oder experimentelle Felder. Ich habe den Eindruck, dass langsam wieder ein Interesse an weiblichen Comedians entsteht, und unsere Frauensendung im WDR zeigt das auch.
Ludger Stratmann: Wonach wählst du denn die Kabarettistinnen für die Sendung aus?
Gerburg Jahnke: Das kommt drauf an: Bei Carmela de Feo ist es zum Beispiel das Künstlerische, das ist eine Figur, die es so noch nicht gibt, ein Gewächs des Ebertbades, eine böse uneitle Italienerin.
Ludger Stratmann: Ist eigentlich die Eitelkeit das Herausragende bei uns Komikern? Muss man immer im Vordergrund stehen wollen und, wie ich, auch als Kind schon immer Clown gewesen sein?
Gerburg Jahnke: Also ich hatte als Kind nicht das Bedürfnis, mich vor die Eltern zu stellen und denen was vorzuspielen. Aber ich glaube, ein bisschen bekloppt muss man sein, um diesen Job zu machen. So richtig „normale“ Kollegen kenne ich eigentlich nicht, dann würden die nicht da vorne stehen. Aber man muss auch mit seiner Verantwortung richtig umgehen: Die Leute zahlen ja relativ viel Geld, um einen unterhaltsamen Abend zu haben. Da muss man sich schon ein bisschen bemühen, die Erwartungen zu erfüllen. Es ist auch Dienstleistung.
Natürlich ist es unheimlich befriedigend, wenn man etwas erarbeitet hat und es geht auf der Bühne auf und es entsteht ein gemeinsamer Spaß. Auf der Bühne nicht hundertprozentig am Text zu kleben – das ist schön. Dann entstehen nämlich diese Momente, wo alle spüren, das passiert hier heute Abend zum ersten Mal. Dann wird der Künstler von der guten Stimmung getragen.
Ludger Stratmann: Wie sieht die Zukunft aus?
Gerburg Jahnke: Wenn du das häufig erfragte Soloprogramm meinst: Das schiebe ich einfach noch so ein bisschen in die Zukunft, ich muss erst mal sammeln, ob ich überhaupt was zu erzählen habe. Ich arbeite sowieso lieber im Team. Wenn ich allein auf der Bühne bin, spiele ich schon mal einen Stuhl an oder was da so liegt: Ich brauche immer das Gefühl, es ist noch jemand da. Ich gehe ja auch bei meiner Fernsehsendung zu jedem der Künstler und wünsche toi toi toi, richtig formvollendet mit Spucke und allem; das kennen ja viele gar nicht.
Ludger Stratmann: Ein Stück Kultur, möchte ich sagen. A propos: Was ist eigentlich mit Kulturhauptstadt? Hast du auch das Gefühl, dass die großen Kulturbaustellen bestens bedient werden, dass unsere Szene aber eigentlich gar nicht im Plan ist? So nach dem Motto: viel Pathetik, wenig Kleinkunst?
Gerburg Jahnke: In Oberhausen ist das ja alles noch viel schlimmer: Düsseldorf hat der Stadt Sparsamkeit auferlegt, und die haben auch viel eingespart. Aber jetzt sollen sie noch mal 90 Millionen einsparen. Und wieder steht das Theater in der Diskussion, obwohl die schon mit ganz wenig Geld arbeiten, Kulturförderungen stehen in Frage. Und dann heißt es Kulturhauptstadt, und Leute aus dem Ausland werden eingeladen. Und da kommt dann der Japaner nach Essen rein und wird mit dem Shuttle zu drei Leuchttürmen gefahren. Aber was in den Städten täglich passiert, in der kleinen Kultur, das wird gern vergessen.
Ludger Stratmann: Vielleicht müssen wir mehr für unsere Unsterblichkeit tun: Otto hat einen Film gedreht, Atze hat einen Film gedreht, denkst du auch an so etwas?
Gerburg Jahnke: Nein, ich finde der Einzige, der das durfte, war Helge Schneider als Hitler. Der wollte keine Comedy machen; da hat sich jemand getraut, etwas gegen den Strich zu machen, grandios. Komikerfilme interessieren mich überhaupt nicht.
Ludger Stratmann: Und wie wär’s mit dem Buchmarkt?
Gerburg Jahnke: Meine Ideen werden auf der Bühne umgesetzt, wie in „Kalte Colts und heiße Herzen“ im Dezember. Und letztens hatte ich mal ‘ne Filmrolle im ZDF, nicht als Komikerin, sondern da hat jemand was anderes in mir gesehen. Das war sehr schön.
Ludger Stratmann: Aber du warst doch mal Schauspielerin, warst doch sogar fürs Schauspielhaus als Intendantin im Gespräch?
Gerburg Jahnke: Nein, wir hatten uns als Trio beworben (lacht) und sind es natürlich nicht geworden.
Ludger Stratmann: Wie steht’s mit einem festen Ensemble?
Gerburg Jahnke: Wir haben damit schon angefangen, sechs Jungs, die „Ganz oder gar nicht“ gespielt haben, fünf davon sind in der Bonanza-Produktion, einer spielt einen Männerabend, zum Thema Kulturhauptstadt wer- de ich ein Frauenstück mit fünf Frauen machen; da sage ich aber noch nichts drüber. Das Ebertbad zeigt also hochwertige Komödien parallel zu den Gastauftritten der Kabarett- und Comedy-Kollegen.
Ludger Stratmann: Die Straßenbahnschienen im Revier haben wir kaum auf eine Breite gekriegt – kriegen wir da die Kulturschiene hin?
Gerburg Jahnke: Glaube ich nicht. In Oberhausen versuchen wir das Kulturangebot schon seit hundert Jahren zu koordinieren – nicht möglich!
Ludger Stratmann: Sollte man nicht mal eine selbstbewusste Kleinkunstszene Ruhr konstituieren, statt dass jeder auf seiner Bühne rumwurschtelt?
Gerburg Jahnke: Denk mal an die „Ruhr Revue“ – ich meine jetzt nicht die Zeitschrift, sondern das Comedy-Festival. Wie war das schwer, die Künstler unter einen Hut zu kriegen! Und wie war die Ruhr Revue dann letztlich erfolgreich!
Ludger Stratmann: Dich sehe ich heute mal wieder, den Frank Goosen gelegentlich bei mir im Theater oder in einer Sendung, den Uwe Lyko gelegentlich auf dem Fahrrad (er, nicht ich), also immer alles zufällig. Sollte man nicht mal eine gemeinsame Front bieten?
Gerburg Jahnke: Gegen wen? Für privatwirtschaftliche Dinge kriegst Du so eine Szene nicht zusammen – es sei denn, du organisierst eine Alternativ-Kulturhauptstadt. Dann könnte das klappen.
Ludger Stratmann: Wird es mal wieder eine „Ruhr Revue“ geben, außer der schönen Zeitschrift, für die wir hier gerade arbeiten?
Gerburg Jahnke: Ich fänd’ das schön; das hat damals richtig Spaß gemacht. Aber die Latte hängt hoch. Schön wär’s, wenn es für 2010 so etwas gäbe.
Ludger Stratmann: Gerburg, 20 Jahre Kabarett und Comedy fast inflationär und jetzt auch noch die Finanzkrise – glaubst Du, dass irgendwann mal die Leute gar nicht mehr lachen, sondern heulen wollen?
Gerburg Jahnke: Nein, ich glaube, dass gerade in schlechteren Zeiten die Leute gerne mal lachen wollen, auch über sich selbst. Kurz gesagt: Gelacht wird weiter.
// Erschienen in Ruhr Revue 01/2009
Mehr zum Thema: