Düsseldorf. Das Düsseldorfer Museum Kunstpalast zeigt 150 ungemein intensive Bilder der DDR-Fotografin Evelyn Richter. Fürs Publikum eine wahre Entdeckung!
Ein Jahr vor ihrem Tod 2021 wurde Evelyn Richter als erste mit dem Bernd-und-Hilla-Becher-Preis ausgezeichnet, und damals fragten nicht wenige: „Evelyn wer?“ Nun bietet das Museum Kunstpalast mit einer Ausstellung von rund 150 Schwarz-Weiß- und drei Farb-Aufnahmen die optische Begründung für diese Auszeichnung. „Dass sie relativ unbekannt geblieben ist“, betont Museums-Chef Felix Krämer, „hat politische Gründe“, und so soll die Ausstellung auch die immer noch bestehende „gläserne Mauer“ zwischen Ost und West überwinden helfen, die auf kaum einem Sektor noch so hoch ist wie in der Kultur, von Mentalitäten einmal ganz abgesehen.
Evelyn Richters Künstlerporträts sind ungemein intensiv – der Geiger David Oistrach steht komplett vergeistigt da, der Pult-Magier Sergiu Celibidache geht bis in die Haarspitzen im Dirigieren auf, der Komponist Paul Dessau ebenso aufbruchsbereit wie skeptisch in die Ferne, in die Zukunft blickend. Ihr Bild von zwei Jungs mit Fahnen zwischen einer heruntergekommenen, alten Straßenseite mit Kopfsteinpflaster und einem Wohnmaschinenneubau auf der asphaltierten Seite der Straße war eine kleine Ost-Ikone. Und ihre vielen Bilder in Bahnen und Bahnhöfen erzählen vom melancholieträchtigen, hoffnungsprallen, vorsichtig zu ertastenden Raum zwischen Aufbruch und Ankunft, zwischen Losgelöstsein und Freiheit, von Bewegung in einem Land, in dem so viel stillstand.
Foto-Studium in Leipzig hatte Evelyn Richter abgebrochen
1930 als Tochter eines Sägewerksbesitzers zur Welt gekommen und als Kind mit Kunst und Kultur großgeworden, hatte Evelyn Richter bei Pan Walther (der später nach Münster in den Westen ging und den Foto-Studiengang an der TU Dortmund aufbaute) in Dresden die Fotografie-Lehre absolviert, wo sie das Porträtieren in klassischer Lichtdramatik lernte. Das Foto-Studium in Leipzig brach sie 1955 ab, dorthin sollte sie 30 Jahre später als Dozentin zurückkehren.
Dazwischen verdiente sie ihre Brötchen in der DDR mit Aufträgen von der Leipziger Messe, Theatern, der Tagespresse oder Magazinen. Porträts aus dieser Zeit zeigen eine ernste, ehrgeizige, selbstbewusste Frau. Sie hat, sagt Linda Conze als Kuratorin der Ausstellung, „immer gearbeitet wie besessen“. Selbst am 13. August 1961, als sie zufällig in Ostberlin war und heimlich, aus der Hüfte die zwischen Panzern fassungslos den Mauerbau anstarrende Menschen fotografierte. Seit einer Reise nach Moskau 1957, bei der ihr die aufwendig zu bedienende Halbformat-Kamera kaputtging, nahm sie nur noch das flexiblere Kleinbildformat. So fotografierte sie auch die umstrittene Sprengung der Leipziger Universitätskirche, die sogar den Weltkrieg überstanden hatte und an der nun die SED ihr Mütchen kühlte.
Realistischer Blick auf (arbeitende) Menschen in der DDR
Evelyn Richter hatte es mit ihrem eindringlich realistischen Blick auf (arbeitende) Menschen in der DDR nicht leicht – eine junge Kranführerin geriet ihr eher lakonisch als heroisch, die Frauen hinten in der Kammgarnspinnerei ließ die Zeitschrift, die eine Reportage bestellt hatte, links liegen, um das schlechtere Bild zu drucken.
So schwierig es in der DDR war – im Westen würde sie, fürchtete Evelyn Richter vielleicht nicht ganz zu unrecht, mit ihrer unkommerziellen, manchmal widerborstigen Bildsprache keine Abnehmer finden. Immerhin: 1980 veröffentlichte sie mit dem Psychologen Hans-Dieter Schmidt das Buch „Entwicklungswunder Mensch“ über die ersten sechs Lebensjahre von Kindern, die sie geradezu forschend auch in ihrem Eigensinn ins Bild setzte, „es geht uns um die Achtung des Lebendigen“, hieß es im Vorwort, und die Bilder zeigten, dass damit auch Unangepasstheit gemeint war. Über die Hälfte der 100.000 verkauften Exemplare wurden in die Bundesrepublik exportiert.
Evelyn Richter hatte den richtigen Blick für Menschen
Und doch war die Fotografin vielleicht nirgends so bei sich wie im Sujet „Menschen im Museum“. Die frühe Aufnahme eines blutjungen Sowjet-Soldaten in der Tretjakow-Galerie vor einem nackten Barock-Pan erzählt mit leisem Zwinkern Bände, aber da ist auch die staunende Italienerin in Rüschenkleid und Hut, da sind die Konzentrierte, die Nachdenklichen und die, bei denen der Blick nicht nur Richtung Ausgang geht, sondern auf das Dahinter. Und das Kind, das fasziniert so tut, als würde es dem Jongleur auf dem Gemälde von Rudolf Hausner einen Ball zuwerfen.
Zur Ausstellung
„Evelyn Richter“. Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf. Bis 8. Januar 2023. Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr, Do bis 21 Uhr. Eintritt: 12 Euro (für das gesamte Museum, in dem auch noch eine Christo-Ausstellung läuft). Der Katalog kostet im Museum 29,90 Euro, sonst 42.