Essen. „Montaignes Katze“ ist das Romandebüt des Journalisten Nils Minkmar. Er blickt darin auf das Chaos des späten 16. Jahrhunderts in Frankreich.
Der Begriff „historischer Roman“ hat über die Jahre hinweg Schaden genommen. Weniger, weil er redlich seinem Namen nachkam und Fakten mit Fantasie zu mischen verstand. Es lag eher daran, dass gerade die erfolgreichsten Exemplare der Gattung die Hellebarde umdrehten und ganze Epochen bloß noch als feist auskolorierte Landschaftstapete für Kitsch und Triviales auffuhren. „Der Medicus“ und die „Wanderhure“ seien stellvertretend genannt.
Die besseren Autoren, in Deutschland allen voran Daniel Kehlmann, haben aus der Dichtung keinen Hehl gemacht, aber die Wahrheiten der Zeit doch unendlich tiefer erfasst, zumal sie im Falle Kehlmanns über erzählerische Mittel verfügten, die sie ganz natürlich vom Morast der Schmuddelware fernhielt. Es liegt auf der Hand, dass Nils Minkmar in diese Fußstapfen treten möchte. Das Thema mag auch seiner Herkunft geschuldet sein: Der vielfach ausgezeichnete Kulturjournalist ist Sohn eines Deutschen und einer Französin, er hat beide Staatsangehörigkeiten.
„Montaignes Katze“ und das Chaos des späten 16. Jahrhunderts
„Montaignes Katze“ heißt sein erster Roman. Dem einflussreichen Verfasser der „Essais“ widmet Minkmar ebenso wie einer der vielen Schicksalszeiten Frankreichs: dem Chaos des späten 16. Jahrhunderts, als gleich drei Henris um den Thron rangen (oder sich duckten, auch das kam vor).
Freilich ist schon die Katze, auch wenn ihr kaum eine Rolle zufällt, der diskrete Hinweis auf das Vorgehen Minkmars. Vielfach führt sein klug aufgebautes Werk über die historische Hintertreppe: Königinmutter auf der Schaukel, Heinrich von Navarra als Hottemax im Kinderzimmer, Madame Montaigne probiert die frisch erfundene Dusche aus und der Philosoph selbst quält sich mit den bekannten Nierensteinen und toten Freunden. Unentwegt tischt Minkmar dazu kulinarische Zeitgeschichte auf, ob steinhartes Brot oder (kriegsentscheidende!) Melonen im kalten Winter.
Große und kleine Begegnungen
Es ist ein Roman der großen und kleinen Begegnungen. Montaigne, Bürgermeister im Bordeaux, wird (was historisch stimmt) fast nebenbei zu einem Weichensteller künftiger Machtverhältnisse. Es reihen sich geheime und beiläufige Treffen aneinander, mitunter bescheren sie dem Werk leichte Längen. Genuss werden jene Leser erfahren, die das große Gemälde nicht ganz unkundig bestaunen. Grundkenntnisse zu Zerrüttungen und Katastrophen (von den Hugenotten bis zu den Bourbonen) helfen bei der Lektüre, die einem originellen Stil folgt: Minkmar setzt als Erzähler nicht nur auf die Zeitform der Gegenwart, er nutzt von „Stress“ über „Klamotten“ bis „Kampfmodus“ Vokabular der Nachgeborenen.
In der Güte des (historisch ungleich freieren) „Tyll“ von Kehlmann siedelt Minkmars Roman nicht ganz. Eine Bereicherung für den Bücherherbst ist er allemal.
Nils Minkmar: Montaignes Katze. Roman, S. Fischer, 399 Seiten, 26 €