Dortmund. Raue Welt, starke Typen: In „Kerl aus Koks“ schreibt der bekannte Schauspieler Michael Brandner übers Ruhrgebiet, stark autobiografisch.

Weiß die Fan-Gemeinde von „Hubert und/ohne Staller“ , dass ein Detail im bayerischen Rollenleben des tobsüchtigen Polizeirats Girwidz nah an seinem Darsteller Michael Brandner (70) siedelt? Beide sind aus Dortmund. Brandner, Wahl-Münchner mit reichlich Revier-Wurzeln, legt mit „Kerl aus Koks“ sein erstes Buch vor. Eine Biografie, sehr nah an seinem Leben. Lars von der Gönna sprach mit ihm über Wahrheit und Dichtung.

Wickede, Wambel, Café Strickmann: Sie wuchern mit Dortmunder Schauplätzen in Ihrem Roman. Dabei leben Sie in München, Mussten Sie Stadtpläne und Branchenbücher wälzen, um sich an alte Zeiten zu erinnern?

Brandner: Mein Leben besteht aus 44 Jahren Ruhrgebiet, da muss ich bis heute nix nachschlagen (lacht), wirklich, is’ alles noch sehr präsent.

Ihr Held heißt nicht Michael, sondern Paul. Aber es ist doch ein Schlüsselroman zu Ihrem Leben – von der Mitgründung des Fletch Bizzel bis zum Durchbruch mit „Rote Erde“, das sind Sie. Warum Ich als ein anderer?

Es macht einen als Erzähler freier in jedem Punkt. In „Kerl aus Koks“ habe ich Geschichten und Anekdoten eingewoben, die mir zugeflogen sind, die ich aber nicht selbst erlebt habe. Damit wollte ich mich nicht „schmücken“, aber sie um Paul zu legen wie ein Mosaik, das hat Spaß gemacht. Ich konnte Sachen drastischer darstellen, ohne in fremder Leuts Vorgarten zu wandeln.

Wir treffen eine Art Hans im Glück. Es gibt von Unfällen bis zur unperfekten Familie Katastrophen und viel Pech, aber immer führt es zu was…

Ist doch wirklich so! Es gilt der alte Grundsatz der Sufis: „Niemand ist so nutzlos, dass er nicht noch als schlechtes Beispiel gut wäre.“

Ein Roman ist ein Fachwechsel für Sie. Leistet sich der Autor Brandner mehr Freiheit als der Schauspieler?

Es ist ziemlich ähnlich. Ich zumindest hab’ immer das große Glück gehabt, dass ich meine Rollen nicht bloß penibel nach Buch aufzusagen hatte, ich hab’ durchaus auch Texte geändert, wenn mir das für die jeweilige Figur sinnvoll erschien. Aber klar: Als Autor hat man ein bisschen mehr Spiel. Ich hab’ das sehr genossen!

Ihre Erfahrung beim Film ist auch Thema und die Tatsache, dass es ein Mythos ist, dass alle dort gut behandelt und bezahlt werden: Sie waren 2006 Mitgründer des Interessenverbandes „BFFS“. Wie sieht es ein Vierteljahrhundert später aus?

Es hat sich eher verschlechtert. Immer mehr junge Schauspieler drängen auf den Markt, die kaum Jobs bekommen und erst recht nicht davon leben können. Uns erreichen immer mehr amerikanische Verhältnisse – dort ist es ja längst ein geflügeltes Wort, das man in jeder Bar und jedem Imbiss von einem Schauspieler bedient wird, weil es zum Leben sonst nicht reicht. Immer mehr Theater machen zu, Streaming-Dienste versuchen mit „kleinem“ Geld große Serien zu machen: All das hat leider Folgen. Ich rate jungen Kollegen, eine Zusatzausbildung zu machen.

Meine Lieblingsformulierung aus Ihrem Buch über Menschen des Ruhrgebiets lautet, dass die „unverhältnismäßig gut gelaunt“ sind. Woran liegt das, Herr Brandner?

Ich glaub’ die Haltung ist: „Nehmt die Dinge nicht so schwer, das lohnt sich einfach nicht.“ Das Ruhrgebiet hab ich nie als Ort der großen Sprünge erlebt. Die meisten Leute sind einfach zufrieden mit dem, was sie erreichen. Wer dort den dicken Max machen will, hat ‘n Problem – oder geht vielleicht nach Düsseldorf. (lacht)

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DAS BUCH

Mag sein, dass es nicht durchweg hohe Literatur ist, aber wie Michael Brandner in „Kerl aus Koks“ (List Verlag, 336 Seiten, 23,99€) ein buntes, unstetes Leben Revue passieren lässt, ist nicht ohne Charme. Der kleine Paul wird ins unbekannte Ruhrgebiet verpflanzt. Er trifft raue Typen und große Herzen. Brandner spannt den Bogen im Leben dieses Mannes vom Wehrdienst bis zur Hausbesetzung, vom Segen der Liebe bis zum säuerlichen Musenkuss am Dortmunder Theater.