Rolle. Der von Krankheiten geplagte Meisterregisseur Jean-Luc Godard starb mit 91 Jahren in der Schweiz – und nahm dafür medizinische Hilfe in Anspruch.

„Jede Geschichte muss einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge“, hat der für Bonmots bekannte Jean-Luc Godard gesagt. Gleich in seinem ersten Film „Außer Atem“ (1960) verrückte der in Paris geborene, in der Schweiz aufgewachsene Arztsohn die Maßstäbe des filmischen Sehens: Die Affäre zwischen einem Ganoven und Polizistenmörder auf der Flucht, den Jean-Paul Belmondo mit der ihm eigenen Unergründlichkeit spielt, und einer amerikanischen Studentin in Gestalt von Jean Seberg ist ruppig und gegen alle möglichen Regeln gedreht. Mit Originalgeräuschen der Stadt Paris, mit natürlichem Licht, oft mit Handkamera und in den Dialogen sprunghaft, ohne die übliche Schuss-Gegenschuss-Technik und mit Anschlüssen, die im ersten Augenblick unstimmig erscheinen, weil sie die Szene in einem neuen, anderen Aufbau zeigen oder Ton und Bild aus verschiedenen Richtungen kommen.

Der Intellektuelle neben François Truffaut, Eric Rohmer und Claude Chabrol

Godards Filmbilder wissen und geben zu erkennen, dass sie Bilder sind und als Fiktion nicht mit der Realität verwechselt werden wollen. Godard war neben François Truffaut, dessen Drehbuch für „Außer Atem“ er umschrieb, Eric Rohmer, Jacques Rivette und Claude Chabrol wohl der rebellischste unter diesen Regisseuren, die typischerweise über das Kino in den 50er-Jahren für die „Cahiers du cinéma“ schrieben, bevor sie Anfang der 60er erst das französische Kino und dann auch im internationalen Kino mit ihren Filmen revolutionierten, die „Nouvelle Vague“ anschoben, den Film intellektualisierten.

Bei Godard schloss das freilich Sinnlichkeit nicht aus: 1963 gab es einen Skandal, weil Brigitte Bardot in einer Nacktszene ihren Filmpartner Michel Piccoli anzüglich fragt, ob er ihren Hintern hübsch finde. Doch immer ging es Godard darum, die vorschnelle Identifikation mit dem Leinwandgeschehen zu unterbinden und eine Distanz zwischen Publikum und dem so einnehmenden Medium Film zu schaffen. In den folgenden Filmen „Elf Uhr nachts“ (1965), „Weekend“ (1967) verschärften sich diese Tendenzen weiter, und es war nur konsequent, dass Godard sich mit der Studentenrevolution derart radikalisierte, dass er nicht mehr fürs Kino drehte, sondern im Dienste von marxistisch-maoistischen Splittergruppen politische Agitation betrieb.

„Deutschland Neu(n) Null“ mit Eddie Constantine

Er, der bald an das Ufer des Genfer Sees zog und den Satz prägte, beim Kino hebe man den Kopf, während man ihn beim Fernsehen senke, sollte erst zwei Jahrzehnte später zum Kino zurückkehren. Mit Filmen wie „Rette sich, wer kann (Das Leben)“, „Vorname Carmen“ oder „Detective“ , die sich weniger dafür interessierten, Geschichten von Anfang bis Ende zu erzählen und dafür mehr lauter Nebensächlichkeiten, Sonderwege und Abweichungen zu verfolgen schienen.

Noch einmal schwang er sich mit „Nouvelle Vague“ zur Reflexion der Filmwelt und seiner eigenen Rolle darin auf, 1990 entstand aber auch sein schräges Werk zur Wiedervereinigung „Deutschland Neu(n) Null“ mit Eddie Constantine in seiner letzten Rolle als alter, müder Agent Lemmy Caution und einem Anspielungskosmos, der viele überforderte, ja langweilte. Sein Vermächtnis war der Filmessay „Bildbuch“.

Auszeichnungen wie ein Ehren-Oscar oder eine Sonder-Palme in Cannes interessierten ihn nicht, und Emmanuel Macrons Trauer-Worte, mit Godards Tod verliere man einen „nationalen Schatz“, hätte er gewiss mit einer ironischen Replik bedacht. Jean-Luc Godard, von vielen Krankheiten geplagt, schied am Dienstag in der Schweiz mit medizinischer Hilfe nach 91 Jahren aus dem Leben.