Der 88-jährige Jean-Luc Godard erzählt vom Kino und der Wirklichkeit: Sein Vermächtnis „Bildbuch“ zeigt Filmklassiker und You-Tube-Videos.

„Remakes“ heißt das erste der fünf Kapitel, in die Jean-Luc Godard sein Filmessay „Bildbuch“ eingeteilt hat. Allerdings tauchen in dieser Flut der Bilder, die über den Betrachter hereinbricht und ihn mitreißt, gar keine Aufnahmen aus Film-Remakes auf. Es geht Godard nicht um die Kannibalisierung der Filmkunst, obwohl er dazu sicher auch einiges zu sagen hätte.

Vielmehr geht es um das komplexe Verhältnis von Kino und Wirklichkeit. Auf ein Bild von einem US-Bomber, auf dessen Nase die Crew das Gebiss eines Hais gemalt hat, folgt ein Ausschnitt aus Spielbergs „Der weiße Hai“, in dem das Tier mit aufgerissenem Maul aus den Fluten auftaucht. So montiert Godard die Bilder in seinem filmischen Buch und setzt sie in einen fortlaufenden Dialog, der vor allem um die Abgründe der menschlichen Geschichte kreist.

Godard zeigt Rosselinis „Paisà“

Eine Szene aus Roberto Rossellinis „Paisà“, in der Menschen von einem kleinen Boot ins Wasser gestoßen werden, findet sein „Remake“ in einem IS-Video. Im ersten Kapitel seines Films, der so etwas wie das Vermächtnis des 88-jährigen Filmemachers ist, porträtiert Godard die Menschheitsgeschichte als nie endende Folge von Konflikten und Kriegen, von Terror und Unterdrückung. In den weiteren Kapiteln wendet er sich dann den großen Themen des 20. und 21. Jahrhunderts zu, dem Siegeszug der Technik, der Zerstörung der Umwelt und dem Verhältnis zwischen Okzident und Orient.

Letzteres illustriert Godard mit Verweisen auf Alexandre Dumas’ Orient-Fantasie „L’Arabie heureuse“ und durch Textauszüge aus Albert Cosserys satirischem Roman „Une ambition dans le desert“, der die Geschichte eines überambitionierten arabischen Herrschers erzählt. Die Textpassagen, die eine arabische Revolution heraufbeschwören und zugleich deren Scheitern verkünden, werden von Bildern begleitet, die der westlichen Blick auf den Orient prägt. Das Verhältnis zwischen Abendland und Morgenland ist so zerstörerisch, weil der Westen in einem Akt missverstandener Liebe sein Bild vom Orient mit der Wirklichkeit verwechselt. Die Revolution, die in Cosserys Roman nur versanden kann, muss in Godards Augen eine globale sein.

Filmklassiker und You-Tube-Videos

Formal setzt Godard, der seine Texte für die deutsche Version des Films selbst auf Deutsch eingesprochen hat und so fortwährend präsent ist, konsequent auf Überforderung. Beim ersten Sehen erschlagen einen die Bilder, die er aus Filmklassikern, YouTube-Videos und Handyfilmen kompiliert hat, regelrecht. Und zu diesem Gewitter visueller Eindrücke und Verweise kommt noch eine hochkomplexe Tonspur, die die Möglichkeiten der modernen Technik bis an ihre Grenzen nutzt.Diese Ebenen fordern ein Denken heraus, das die Welt in jedem Augenblick neu zusammensetzt und dabei das Grauen als von Menschen gemacht registriert.