Essen. Kapitalismuskritik als starke Filminstallation: Die Ruhrtriennale zeigt auf Zollverein in Essen Julian Rosefeldts neue Arbeit „Euphoria“.
Manche mögen den Kapitalismus für eine Krake halten. Andere haben das Bild der Heuschrecke vor Augen. In „Euphoria“, der raumgreifenden Filminstallation von Julian Rosefeldt, kommt der Raubtierkapitalismus als geschmeidiger Tiger daher, ausgestattet mit der Stimme von Cate Blanchett.
Die australische Schauspielerin war es auch, die die Rückkehr von Rosefeldt zur Ruhrtriennale verzögert hat. Bereits 2017 sollte eine weitere Arbeit von ihm gezeigt werden, musste aber abgesagt werden, weil sein 2015er-Videokunstwerk „Manifesto“ mit Cate Blanchett so lange als Riesenerfolg von Spielort zu Spielort gereicht wurde.
Nervenprobe im Vorfeld der Weltpremiere
Zuletzt hat dann der Krieg in der Ukraine die Weltpremiere von „Euphoria“ auf dem Essener Welterbe Zeche Zollverein zur Nervenprobe gemacht. Große Teile der aufwendig inszenierten, multidisziplinären Filminstallation nämlich wurden bis kurz vor Kriegsausbruch in Sofia und in Kiew gedreht. Auch das ein Teil der Kapitalismusgeschichte. In Kiew sei das Drehen einfach billiger gewesen als in New York, erklärt Rosefeldt. Und so stehen die Schalter der Bank of America tatsächlich im Hauptbahnhof von Kiew, wo ukrainische Tänzer, Schauspieler und Akrobaten wie entfesselte Börsianer übers Parkett wirbeln.
Eigentlich sind es aber die Verlierer des Systems, denen Rosefeldt in sechs Szenen verschiedene Texte aus Philosophie, Literatur und Wirtschaftstheorie in den Mund legt. Verdichtet zu Textcollagen, die auch jahrtausendealte Manifeste der menschlichen Gier ganz gegenwärtig klingen lassen.
Konsum als Triebfeder der Gier
Da surrt die Kamera über die Steinwüsten New Yorks, in denen die Wildnis wieder Fuß fasst, während ein Taxifahrer über den Konsum als Triebfeder der Gier philosophiert. Und lauscht den Obdachlosen, die an einer Feuertonne das entfesselte System der neoliberalen Marktwirtschaft diskutieren.
Wie passgenau die Bilder mitten in einer aufziehenden Energie- und Wirtschaftskrise erscheinen, konnte Rosefeldt bei Drehbeginn nicht ahnen. Aber auch ohne den aktuellen Bezug gelingt es „Euphoria“ eindrucksvoll, abstrakte Zusammenhänge sinnlich fassbar zu machen und Fragen nach Alternativen zum Kapitalismus und zum ungehemmten Wachstum neu zu stellen.
Überwältigende Suggestivkraft der großen Bilder
Die überwältigende Suggestivkraft der großen Bilder verknüpft er dabei mit ebenso starken Soundgemälden von Samy Moussa. Der Brooklyn Youth Chor nimmt auf den seitlichen Leinwänden lebensgroß Aufstellung, wie ein antiker Chor, begleitet vom treibenden Schlagzeugsound führender Jazzmusiker. Taktvorgeber einer vielleicht neuen Zeit.
Zeche Zollverein, Halle 5, Gelsenkirchener Str. 181, bis 10. 9., Mo.-So.: 12- 19.30 h. Tickets: www.ruhrtriennale.de