Mülheim. Durchaus eine Zumutung, dafür mit dem Esprit der Freilichtbühne versorgt: Das Theater an der Ruhr zeigt Ibsens „Die Frau vom Meer“ auf dem See.
Mit seiner Inszenierung von Henrik Ibsens Schauspiel „Die Frau vom Meer“, mit der das Theater an der Ruhr das Festival „Weiße Nächte“ eröffnete, mutet Regisseur Philipp Preuss dem Zuschauer viel zu. Mit Kopfhörern bewehrt, sitzt der im Raffelberg-Park und blickt auf den kleinen See, in dessen Mitte eine Ponton-Insel das Haus am Fjord zeigt, die Heimstadt von Dr. Wangel (Felix Römer), seiner zweiten Frau Ellida (Petra von der Beek) und Wangels Töchtern aus erster Ehe Bolette und Hilde (Elzemarieke de Vos, Sarah Moeschler). Seit ihrer Begegnung mit einem Seemann ist die in ihrer Ehe unglückliche Ellida, die schon als Jugendliche von der See fasziniert war, endgültig der mystischen Kraft des Meeres erlegen. Eines Tages taucht der längst vergessene „Fremde“ (Günther Harder) auf und drängt sie, ein einst gegebenes Versprechen einzulösen und ihm zu folgen. Nach quälenden Auseinandersetzungen ist Wangel schließlich bereit, Ellida frei entscheiden zu lassen.
Mit dieser Entscheidungsfreiheit sind die Macht des Fremden und der Zauber des Meeres gebrochen. Sie wählt das Leben an Wangels Seite. So weit, so Ibsen. Doch dieser allenfalls „hellgrüne“ Aspekt hat allein offenbar für die unter dem Motto „Natur pur“ stehenden Weißen Nächte nicht gereicht. Ehe das Geschehen auf der Insel seinen Lauf nimmt, mit Rupert J. Seidl als Prof. Arnholm und Leonard Hugger als Naturmaler Lyngstrand, erscheint am Ufer ein seltsames Fabelwesen. Klaus Herzog ist im Programm als Ballested ausgewiesen, doch hier präsentiert er sich zunächst als antike Göttin Potnia theron, als Herrscherin und Beschützerin aller wilden Tiere.
Ibsens „Frau vom Meer“ gesellt die Regie Exkurse und Visionen hinzu
Es folgt ein monologischer Exkurs in die griechische Mythologie, und wir landen schließlich bei den die Unterwelt (auch die Unterwasserwelt) beherrschenden Chtonischen Göttern, die todbringend sein können, vor allem aber Leben und Fruchtbarkeit spenden. Statt bei Ibsen sind wir (und bleiben da lange Zeit) bei der amerikanischen Naturwissenschaftshistorikerin und feministischen Philosophin Donna J. Haraway und deren Visionen einer gesamtheitlichen Natur, die Mensch, Fauna und Flora vereint.
Nur verhaltener Beifall für einen mit Zusatztexten aufgeladenen AQbend
Immer wieder unterbricht Klaus Herzog, der sich mit jedem Ufer-Solo mehr in ein Seetang und Tentakel-bewährtes Meereswesen wie aus den „Fluch der Karibik“-Filmen verwandelt, die Ereignisse auf See und Insel. Dann geht es um die Überwindung der Ära des Kapitalozän und der Epoche des Anthropozän mit dem Menschen als wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen und klimatischen Prozesse der Erde und um die Ausrufung des neuen geochronologischen Zeitalters des Chtolozäns.
Was macht das Publikum, wenn es nach zwei eigentlich Ibsen gewidmeten Stunden nicht so recht weiß, was es da gerade gesehen hat und wie es das Erlebte einordnen soll? Es spendet vorsichtshalber verhaltenen Beifall. Weitere Termine und Infos zu den Weißen Nächten unter Tel. 0208-5990188 oder unter www.theater-an-der-ruhr.de