Bottrop. Nach 19 Jahren als Chef des Bottroper Museums Quadrat geht der Kunsthistoriker Heinz Liesbrock jetzt in den Ruhestand – ein Abschiedsgespräch.
Eigentlich hätte Heinz Liesbrock längst im Ruhestand sein sollen, denn der promovierte Kunsthistoriker ist vom Jahrgang 1953. Dreimal verlängerte er seinen Vertrag als Chef des Bottroper Josef-Albers-Museums Quadrat, damit er die inzwischen 13 Millionen Euro schwere Erweiterung des Museums um ein Gebäude für Wechselausstellungen noch bis zu dessen Eröffnung am 19. Oktober begleiten kann. Dirk Aschendorf und Jens Dirksen sprachen mit dem scheidenden Chef im Quadrat.
Herr Dr. Liesbrock, Sie haben das Bottroper Quadrat nun fast zwei Jahrzehnte geleitet. Hat sich Ihr Blick auf den Kern des Museums, auf Josef Albers und seine Werke in dieser Zeit verändert?
Heinz Liesbrock: Meine Frau hat mich neulich noch daran erinnert: Als ich am Nikolaustag des Jahres 2002 zum „Vorsingen“ ins Bottroper Rathaus gefahren bin, war ich mir noch nicht wirklich klar darüber, wie der Rang von Josef Albers einzuschätzen war. Das hat sich sehr schnell umgedreht, durch den regelmäßigen Umgang mit den Originalen ist mir schon bald klar geworden, welches Schwergewicht Albers eigentlich künstlerisch war. Vor 40, ja noch vor 20 Jahren galt er ja eher als malender Pädagoge – für manchen Kritiker kein positives Urteil.
Er hat ja selbst dazu beigetragen.
Ja, aber er wusste, dass sein markiger Spruch, er könne die Farben auch am Telefon durchgeben und das Quadrat könne dann jemand am anderen Ende der Leitung malen, einfach nicht stimmte, er hat sich da als älterer Herr rhetorisch ein bisschen hinreißen lassen. Die Eröffnungsausstellung für unseren Erweiterungsbau wird erstmals die Geschichte von „Homage to the Square“ von 1950 bis zu Albers‘ Tod 1976 erzählen. Und das unausgesprochene Motto für mich ist, dass niemand aus dieser Ausstellung herausgehen soll, ohne davon überzeugt zu sein, dass Josef Albers einer der großen Maler des 20. Jahrhunderts war. Diese etwa 100 Gemälde sind ein ästhetischer Triumph.
Als Sie 2003 hier anfingen, hing die Albers-Sammlung immer noch so, wie sie 1983 bei der Eröffnung aufgehängt war.
Das stimmt. Ich hatte schon bei meiner Bewerbung gesagt, dass das Museum sich programmatisch vor allem um Albers und seinen Einfluss kümmern muss. Immerhin verwahrt man eine herausragende Sammlung seiner Werke. Es war damals kunsthistorisch noch gar nicht abgesichert, dass Albers einen prägenden Einfluss auf die ganze Generation der Konzeptkunst und Minimal Art hatte, das hat sich mir in Gesprächen etwa mit Sol LeWitt oder Donald Judd bestätigt. Dem Einfluss von Albers auf Ad Reinhardt sind wir ja 2010/11 im Museum nachgegangen, und das entsprach meinem Anspruch, sinnlich eindrückliche Ausstellungen zu machen und zugleich Kunstgeschichte mitzuschreiben und bekannt zu machen.
Mit einem vergleichsweise kleinen Apparat.
Meine Stellvertreterin Frau Growe, die als Verwaltungsleiterin auch Kunsthistorikerin ist, und ich: wir stemmen das Programm allein. Punkt. Als ich anfing, gab es kein regelmäßiges kunstpädagogisches Angebot, jetzt haben wir zwei Kunstvermittlerinnen, immerhin. Aber das Haus ist nach wie vor personell nicht zureichend ausgestattet. Es gibt zum Beispiel keinen Wissenschaftler, der das Museum für Ur- und Ortsgeschichte und seine Sammlungen kompetent leitet. Ich habe mich irgendwann entschieden, mich auf das zu konzentrieren, was ich wohl am besten kann: pointierte Ausstellungen zu machen und Mittel für ein anspruchsvolles Programm einzuwerben, zu dem auch Ankäufe gehören. Alleine zu arbeiten hatte auf der anderen Seite auch den Vorteil einer großen Freiheit.
Aber „Ein-Künstler-Museen“ sind an sich ja eine große Herausforderung.
Manches ergibt sich von selbst. Dass Albers ein so herausragender Künstler war, und dass er in so vielfältige Richtungen anschließbar ist, ist ein Glücksfall. Man muss allerdings etwas daraus machen. Mein Anspruch war von Anfang an: Wir wollen eigenständige Projekte zur Rezeption von Albers entwickeln und so die Identität zwischen Künstler und Haus stärken. Und das waren dann Ausstellungen, die weithin, sogar in den USA beachtet worden sind. Das Museum hat auch einen gewissen Anteil an der hohen Wertschätzung, die Albers heute genießt. Er ist unumstößlich ein Klassiker, während mancher, der zu seiner Zeit bekannter war, etwa Vasarely, inzwischen stärker in seiner künstlerischen Begrenzung deutlich ist. Das betrifft auch die Marktentwicklung: Vor 20 Jahren hat Albers nicht einmal die Hälfte von dem gekostet, was heute dafür bezahlt wird.
Gibt es denn noch etwas, das der Albers-Sammlung fehlt?
Ich habe ja dreimal anspruchsvolle Ankaufs-Initiativen nicht nur entwickelt, sondern auch durchgeführt: Da waren die Studien auf Papier, die in der Sammlung noch nicht vorhanden waren; dann haben wir sieben Gemälde ankaufen können, die den besonderen Einfluss der mexikanischen Kultur auf Albers spiegeln; ein weiterer Punkt sind Fotografien von Albers. Heute kann das Museum Albers in seiner Tiefe darstellen. Die jüngeren Ankäufe kamen alle aus der Albers-Foundation, deren Direktor Nicholas Fox Weber, der meine Arbeit immer gestützt hat, gesagt hat: „Es ist besser, wenn die Kunst in einem Museum hängt, wo sie für immer bleibt, und deshalb kommen wir Euch im Preis sehr entgegen.“ Es waren Beträge, die in die Millionen gingen – und es war nicht allzu schwer, das Geld aus Berlin, aus Düsseldorf, aus München einzuwerben. Weil klar war, dass dieses Museum ein funktionierender kunsthistorischer Organismus ist, der um das Werk eines großen Künstlers kreist.
Nun wird im Herbst ein Erweiterungsanbau eingeweiht.
Ich habe ab 2006, 2007 bei der Stadt darauf hingewirkt: Ihr braucht für dieses Museum einen Erweiterungsbau, der klimatisiert ist und gute Lichtverhältnisse hat, in dem man Sonderausstellungen auf hohem Niveau mit anspruchsvollen Leihgaben zeigen kann. Das geht eben in der Modernen Galerie nicht. 2008 gab es einen ersten Versuch, der scheiterte. Im zweiten Anlauf ist es gelungen, diesen Erweiterungsbau zu stemmen. Werner Müller, der Chef der RAG-Stiftung, ist ab und zu ins Museum gekommen, er hatte auch ein persönliches Interesse an Josef Albers. Als ich ihm das Projekt vorgestellt habe, hat er gleich gefragt: Was kostet denn das, wie viel brauchen Sie? Damals waren 10 Millionen die Planungssumme, jetzt sind es 13 Millionen geworden. Müller hat gleich zugesagt, sich für eine Hälfte starkzumachen. Diese Grundfinanzierung ist also von privater Seite geleistet worden, erst dann sind die Summen von Bund und Land dazugekommen. Das Wichtigste für ein Museum sind tragfähige Ideen. Geld dafür findet man in gewissen Grenzen immer! Zumindest war das in meiner Zeit so.
Herr Dr. Liesbrock, was kann, was soll ein Museum, ganz grundsätzlich? Hat sich Ihr Blick darauf im Laufe der fast 20 Jahre als Museumsdirektor geändert?
Nein. Aber die Meinungen anderer darüber, was ein Museum sein sollte, haben sich sehr wohl geändert. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass Kunst in ihrer eigenen Sprache, in ihrem eigenen Recht mit großem Abstand die Hauptrolle zu spielen hat. Als sinnliche Pracht, die Erkenntnisse fördert. Und man sollte alles tun, um diesen hohen Anspruch herunter zu brechen, ihn zu kommunizieren an möglichst viele Menschen und ihnen sinnvolle Angebote zu machen. Deshalb fand ich es auch irritierend, dass ein Museum, das den Namen von Josef Albers trägt, der mit Abstand der wichtigste Kunstvermittler nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen ist und eine eigene Pädagogik dazu entwickelt hat, wie man junge Menschen anspricht und mit ihnen gemeinsam lernt durch Forschen, dass in einem solchen Haus lange keine Vermittlungsarbeit stattgefunden hat. Albers glaubte ja, dass nur das selbst entdeckte Wissen wirklich sitzt, nicht das gelernte, historische Kathederwissen.
Man könnte auch sagen: Das ist Aufgabe der Schule!
Nein. Die direkte Begegnung mit Kunst ist unersetzbar. Das kann man nicht akademisch in Büchern abhandeln oder auch im Internet. Dieser magische Charakter, den große Kunst entwickeln kann durch eine Konzentration der Anschauung, durch ein Gespräch und Erkenntnisse vor Originalen, das ist Aufgabe eines Museums. Ein wirklicher existenzieller Appell an die Betrachter – wie, ‚Du musst dein Leben ändern‘ – der ist nur hier im Museum möglich.
Könnte die Stadt eigentlich mehr für ihr Museum tun?
Dass sich Bottrop als Kommune vor zwei Jahren bereiterklärt hat, den Ausstellungsetat des Museums von 90.000 auf 120.000 Euro zu erhöhen, dass es immer noch einen Ankaufs-Etat von 20.000 Euro gibt, und dass sie bereit war, sich sorgsam um die Erhaltung des Gebäudes zu kümmern, das ist nicht selbstverständlich gewesen.
Aber?
Die Stadt könnte mehr mit ihrem Museum wuchern, zweifellos. Es gab in Bottrop früher eine Stadtspitze, die hat über ein Jahrzehnt hinweg eine klare Strategie verfolgt, mit Hilfe von Josef Albers und seiner Kunst in der Stadtwerbung wegzukommen vom Image der Stadt als Moloch von Kohle und Schmutz. Wenn ich beobachte, wie heute in der Politik mit dem Thema Kultur als Standortfaktor umgegangen wird, dann waren die Herren dem damals voraus. Man kann Josef Albers, der ja, was den Ruf seiner Kunst angeht, ein Marathon-Läufer ist, und der immer noch wächst in seinem Ansehen, als Protagonist seiner Heimatstadt viel mehr ins Spiel bringen. Das Museum ist mit seiner Kunst, seiner Architektur und seiner charmanten Lage ein Glanzpunkt dieser ansonsten armen Stadt. Es ist ein Ensemble, das jeder Stadt zur Ehre gereichen würde. Die Begeisterung auswärtiger Besucher angesichts dieser Schönheit kennt niemand besser als wir.