Köln. Der Produzent Christian Fürst hat zum 42-jährigen Bestehen des Filmbüros NW ein Buch mit Erinnerungen und Anekdoten herausgegeben. Ein Interview.
Wer derzeit versucht, mit dem Produzenten Christian Fürst zu sprechen, braucht Geduld. Er arbeitet gerade an einem Kinofilm in Thüringen, die letzten Drehtage stehen bevor. Nervensache. Jetzt aber sieht es gut aus. Und so kann sich Fürst einem weiteren Herzensthema widmen, seinem Buch über das Filmbüro NW, das er mit Marcus Seibert herausgibt. Eigentlich sollte das 40-jährige Bestehen 2020 groß gefeiert werden. Dann wurde es zweimal wegen Corona verschoben. Stattdessen ist nun ein dicker Wälzer entstanden, vollgepackt mit Geschichte und Geschichten. Petra Kuiper sprach mit ihm über 42 Jahre Lobbyarbeit und den Film.
Herr Fürst, wie sind Sie zum Filmbüro gekommen?
Christian Fürst: 1988 habe ich meinen ersten Film mit Christoph Schlingensief gemacht: „100 Jahre Adolf Hitler. Die letzte Stunde im Führerbunker“. Es folgten vier weitere Filme. Alle wurden vom Filmbüro bezuschusst. In dem Buch ist auch ein Artikel von mir über die Dreharbeiten für „Das deutsche Kettensägenmassaker“ und sogar einer von Schlingensief aus den 80er-Jahren – darüber, wie man Filme finanziert.
Wie war die Zusammenarbeit?
Das war auch ein freundschaftliches Verhältnis. Christoph Schlingensief war ein ganz freundlicher Mensch. Das Bild in der Öffentlichkeit war manchmal ein anderes. Die Sachen, die er gemacht hat, waren sehr wild und progressiv, aber zwischenmenschlich war er ein netter Kerl. Er war aber auch sehr addicted, hat schon als Kind Super-8-Filme gemacht.
Erinnern Sie sich für uns ...
„100 Jahre Adolf Hitler“ haben wir in einem Tag und einer Nacht am Stück gedreht, in einem stockdunklen Bunker gegenüber der Stadthalle in Mülheim. Da sind ein paar lustige Sachen passiert. Ich weiß noch, wie Udo Kier plötzlich verschwand. Wir standen eben noch draußen und haben gequatscht – plötzlich war er weg. Da hatte sich eine Metallplatte gelöst und er ist über einen Versorgungsschacht in den Bunker hineingerutscht. Wir mussten ihn erstmal umständlich befreien. Er war ein bisschen ramponiert.
Wer kommt im Buch noch zu Wort?
Etwa Helge Schneider. Er war auf Tournee und konnte keinen Text für uns schreiben. Also hat er uns eine Reihe WhatsApp-Sprachnachrichten geschickt, aus denen wir einen Beitrag zusammengesetzt haben. Auch seine ersten Filme wurden vom Filmbüro finanziert. Und auch sein erster Film als Darsteller: „Johnny Flash“ von Werner Nekes. Da ist er der Sohn von Andreas Kunze, der die Mutter gespielt hat. Das kommt auch in dem Buch vor.
Wie kam es 1980 zur Gründung des Filmbüros?
Damals wurden Filme in NRW quasi ausschließlich vom WDR finanziert. Das führte dazu, dass sich die Filmemacher zusammengerauft und Forderungen ans Land gestellt haben. Es wurde ein Verein gegründet, als Zwischenlösung gab es eine Art Feuerwehrtopf, der Gelder vergeben hat. 1980 wurde vom Land ein fester Jahresetat beschlossen.
Wie waren Ihre persönlichen Erfahrungen?
Für mich war das Filmbüro Gold wert. Unsere Berufe wurden ja damals in der Regel noch nicht an Hochschulen gelehrt; man hat sich alles selbst beigebracht. Learning by Doing. Im Filmbüro habe ich Produzenten kennengelernt, von deren Erfahrung ich profitiert habe. Die konnten mir jede Frage beantworten. Das war ein Ort der Begegnung.
Woher stammt ihr Interesse am Film?
Ein Lehrer unserer Schule hatte einen Filmclub im Schloss Broich. Da hat er uns die Klassiker der 60er, 70er und 80er Jahre gezeigt, etwa Orson Welles, Jean-Luc Godard. Der Eintritt kostete eine Mark. Dann gab es in Mülheim selbstorganisierte Kinos, von engagierten und progressiv denkenden Menschen. Da bin ich gern hingegangen. Und das Kinocenter wurde auch noch nicht von Konzernen, sondern von Filminteressierten geleitet.
Ihr Lieblingsfilm?
Schwer. Es gibt wahrscheinlich hundert. Grundsätzlich bin ich offen für alles und nutze auch die Streamingdienste. Wobei inzwischen alles von US-Produktionen beeinflusst ist. Da hat sich einiges verändert. Sagen wir so: Ich bin nicht so ein Fernsehfan, also kein Fan des Privatfernsehens.
Was ist für Sie denn ein guter Film?
Entscheidend sind die Dramaturgie und das Thema. Ich kann aber auch Filme gut finden, die nicht meinem Geschmack entsprechen, wenn sie handwerklich gut gemacht sind.
Und weshalb sollte man Ihr Buch lesen?
Zum einen gibt es die politischen Strömungen der letzten vier Jahrzehnte wieder; man kann sehr gut erkennen, wie politisch die Filme der 80er waren, dann später die ersten queeren Projekte, die auch gefördert wurden. Das ist ein Stück Zeit- und Kulturgeschichte. Aber es ist auch ein Lesebuch, mit vielen Erinnerungen und Anekdoten.
Info zum Buch: Achtung, Achtung, hier spricht das Filmbüro!
Das Filmbüro wurde 1980 in Mülheim gegründet, heute sitzt der Verein in Köln. Die Vergabe der Fördermitteln liegt heute bei der Film- und Medienstiftung NRW, die 1991 entstand und in die das Filmbüro eingegliedert wurde.
2021 wurden hier 41 Millionen Euro für Filme, Serien, TV-Filme, Games, Kinos, Festivals, Standortprojekte sowie Aus- und Weiterbildung vergeben, 22 Millionen Euro gingen in die Förderung fiktionaler und dokumentarischer Kinofilme.
Das Buch „Achtung, Achtung, hier spricht das Filmbüro! 42 Jahre unabhängiger Film“ (412 Seiten) gibt es für 19,80 Euro online bei Strzelecki Books und in vielen Buchhandlungen. Herausgeber sind Christian Fürst (Foto) und Marcus Seibert. Es enthält über 80 Beiträge und Interviews zur Geschichte und Bedeutung des Filmbüros sowie viele Fotos.