Köln. Nick Cave ist Kult, aber nicht massenkompatibel. Bei seinem Auftritt in der Kölner Arena begeisterte er die Fans. Doch viele Plätze blieben leer.

Die Kölner Arena flaggt auf halbmast. Die Oberränge sind abgehängt, in den meisten Logen bleibt es dunkel, der Innenraum ist allenfalls zu zwei Dritteln gefüllt. Im Mai hat der Künstler, der am Montag dort aufgetreten ist, seinen Ältesten, Jethro (31), verloren, schon vor sieben Jahren starb einer seiner Söhne, Arthur, mit nur 15 Jahren in Folge von LSD-Konsum.

Aber mit Pietät hat der Leerstand nichts zu tun. Viel eher etwas mit dem, was eine Frau im Unterrang ihrer Begleitung, gut hörbar, offenbart: „Von ihm kenne ich eigentlich nur die ,Roses’.“ „Where the Wild Roses Grow“, im Duett mit Kylie Minogue, war 1995 ein Hit. Aber anders als Billie Eilish oder Queen (inzwischen mit Adam Lambert), die beide unlängst für eine randvolle Arena sorgten, reüssierten Nick Cave and The Bad Seeds nie als Chartstürmer. Von ihren 17 Alben kamen nur zwei an die Spitze. In Deutschland keines. Als erfolglos kann man den Australier und die von ihm 1993 mitbegründete „böse Saat“ keineswegs bezeichnen. Sie sind Kult. Aber sie sind kein Mainstream. Sie sind nicht massenkompatibel.

Nick Cave gibt den „Angry Young Man“

Mit „Get Ready For Love“ gerät der Einstieg von Cave furios. Im adretten Dreiteiler, die schwarzen schulterlangen Haare zurückgekämmt, gibt er den „Angry Young Man“ von 64 Jahren. Springend, rasend, in die Luft kickend, ein mächtig röhrender Rock’n’Roller, der schon beim Intro so dermaßen aufdreht, dass man sich entgeistert fragt: „Was soll denn jetzt noch kommen?“ Es kommt noch eine ganze Menge.

Die Munition reicht für mehr als zwei Stunden. Berührungsängste kennt Cave keine. Vom kleinen der Bühne vorgebauten Plateau springt er auf eine Laufleiste. Parallel zur ersten Reihe angebracht, beängstigend hoch über der Absperrung. Und so schmal, dass ein regulärer Catwalk dagegen wirkt wie ein Highway für Tiger.

Nick Cave singt und fleht, betet, flucht und keucht

Kleine, große, schmale, breite Hände, flehend, bittend, winkend strecken sich ihm entgegen. Er beugt sich nieder, ergreift sie, hält sie, drückt sie, presst sie, mitunter fest wie in einem Schraubstock. Später wird er sich von ihnen stützen lassen, sie das Mikrofon halten lassen, während er singt und fleht, betet, flucht und keucht. Dämonen und Engel beschwörend, seinen Oberkörper auf die Fans im Publikum in einem so steilen Winkel hernieder geschrägt, dass man sich befürchtet, er werde jeden Moment im Meer seiner Anbeter versinken.

„From Her To Eternity“ ist Tornado und Inferno zugleich, „O Children“ mit seinem Background-Gospelgesang verheißt einen Moment der Besinnung, bei „Jubilee Street“ oder „Tupelo“ bricht erneut die Hölle los.

Atempausen für Nick Cave am Flügel

Wenn sich Nick Cave an den Flügel setzt, sind das kleine Atempausen. Aber dann, obwohl das Haar noch kurz zuvor zurück in Form gebracht wurde, fliegt doch wieder der Mikrofonständer durch die Luft und der Klavierhocker poltert zu Boden. Cave ist Dramaturg und Demagoge, ein Superspreader der Gefühle, dämonisch, zärtlich, ironisch. Einer von uns. Oder so wie wir gerne gewesen wären. In einer anderen Zeit.