Dortmund. George Petrou und der „Armonia Atenea“ gelang in Dortmund das Klangvokal-Meisterstück, Vivaldis „Orlando Furioso“ auf Spannung zu halten.
Nach eigenem Bekunden hat Antonio Vivaldi 94 Opern geschaffen, von denen 22 erhalten sind, aber keine einzige ins Repertoire vordringen konnte. Eine grandiose konzertante Aufführung der 1727 in Venedig uraufgeführten Oper „Orlando Furioso“ im gut besuchten Dortmunder Konzerthaus rückte die Qualitäten Vivaldis als Opernkomponist in den Fokus und markierte damit einen Höhepunkt des „Klangvokal Musikfestivals“.
Dass ausgerechnet eine an musikalischer Perfektion kaum zu übertreffende Produktion die Erklärung für die geringe Beachtung der Opern Vivaldis auf unseren Bühnen liefert, mag widersprüchlich klingen. Aber anders als etwa Händel, der virtuos mit barocken Arien-Formen experimentierte, begnügte sich Vivaldi mit der stereotypen da-capo-Form. Die füllte er zwar stilistisch kreativ – aber ein Arien-Konzert, das trotz Kürzungen drei Stunden dauert, ohne Ensemblesätze und formale Überraschungen unter Spannung halten zu können, setzt ein hoch spezialisiertes Gesangsensemble mit sieben gleichwertigen Solisten und einen adäquaten Dirigenten voraus, was sich im Opernalltag nur ausnahmsweise realisieren lässt.
Dirigent George Petrou mit seinem exzellenten Orchester „Armonia Atenea“
Eine solche Ausnahme, zumindest auf dem konzertanten Parkett, liefert seit einigen Jahren der griechische Dirigent George Petrou mit seinem exzellenten Orchester „Armonia Atenea“ und einem überragenden Solistenstamm, mit dem er bereits in Madrid, Wien und anderswo Triumphe feierte. Auch in Dortmund blieb der Erfolg nicht aus. Es bedarf ausgeprägten Fingerspitzengefühls und einer Portion Glück, wenn es gelingen soll, sieben Sängerinnen und Sänger zu versammeln, die einander in Sachen lupenreiner Legato-Kultur und atemberaubend virtuoser Koloratur-Artistik in nichts nachstehen. In diesem Fall können sie sogar trotz der immensen gesangstechnischen Ansprüche den Ausdrucksgehalt der Musik lebendig zum Ausdruck bringen, so dass jeder Eindruck von Gleichförmigkeit vermieden wird. Wobei auch noch die unterschiedlichen Stimmfärbungen der Sängerinnen und Sänger den Charakteren der Figuren wie angegossen schienen.
Counter-Tenöre: Max Emanuel Cenčić, Philipp Mathmann, Nicholas Tamagna
So konnte man die drei Countertenöre klanglich deutlich unterscheiden: Max Emanuel Cenčić in der Titelrolle des „rasenden Roland“, Philipp Mathmann als schmachtender Medoro und Nicholas Tamagna als Ruggiero mit besonders ausgeprägten lyrischen Qualitäten. Das Gleiche gilt für die drei Damen, die sich an Intensität und Virtuosität geradezu überschlugen: die Sopranistin Julia Lezhneva als Angelica, dem Opfer der Begierde, sowie die Mezzosopranistinnen Vivica Genaux als hintergründig-dämonische Zauberin Alcina und Sonja Runje in der Hosenrolle des verliebten Bradamante. Und der Bassist Sreten Manojlović blieb hinter den stimmtechnischen Wundern seiner Kollegen keinen Deut zurück.
All das leitete George Petrou mit seinem Orchester mit nähmaschinenhafter, aber keineswegs seelenloser Präzision, wobei er besonderen Wert auf die lebendige Ausgestaltung der vor allem im dritten Akt handlungstragenden und ausdrucksstarken Rezitative legte. In dieser Qualität kann Vivaldis „Orlando Furioso“ um die Geschichte des liebestollen Roland voll überzeugen. Allerdings auch nur in einer derart außergewöhnlich glücklichen Konstellation.
Lang anhaltender, begeisterter Beifall.