Bochum. . Eine Reise zu den „Goldenen Zwanzigern“ und ein beherzter Eingriff in einen berühmten Roman: „Der große Gatsby“ im Bochumer Schauspielhaus.

Die opulenten Jahre der „Goldenen Zwanziger“ haben bis heute etwas Faszinierendes, weil Verschwenderisches und Verruchtes. Ein Meilenstein dieser Ära ist der Roman „Der große Gatsby“, den F. Scott Fitzgerald wenige Jahre vor dem Börsencrash 1929 schrieb. Am Vorabend des Zusammenbruchs tanzt es sich noch halbwegs unbeschwert: Davon erzählt eine schöne, entschlackte Version des „Gatsby“, die jetzt in den Bochumer Kammerspielen zu sehen ist.

Mit betont ruhiger Hand auf die Bühne gebracht wird das Sittengemälde als „kollektive Arbeit“, wie es im Programmheft heißt: Die junge Regisseurin Zita Gustav Wende, bislang Assistentin am Haus, ergreift die große Chance einer abendfüllenden Inszenierung gemeinsam mit Sophia Profanter (Bühne) und Tanja Maderner (Kostüme). Angela Obst und Marvin L.T. Müller fertigen aus Fitzgeralds Literaturklassiker eine eigene Fassung, die sich ganz auf das tragische Dreiecksverhältnis zwischen Tom, Daisy und dem mysteriösen Millionär konzentriert. Überraschend dabei: Es gibt feste Rollenzuweisungen, die Geschichte wird tatsächlich gespielt und nicht bloß brav nacherzählt, wie es bei heutigen Romanadaptionen im Theater leider allzu oft der (langweilige) Fall ist.

In Bochum kommt der Roman „Der große Gatsby“ auf die Bühne der Kammerspiele

Die Bühne strahlt in schönstem Weiß: Auf einem riesigen Sofa wälzen sich die Figuren wie vom Feierwahn erlegen, der endlose Whiskey, den sie aus einem Brunnen hervorholen, hat sie mürbe gemacht. Die latente Melancholie, die über den Szenen schwebt, wird fein skizziert: „Ich bin gelähmt vor Glück“, stöhnt Daisy, von Anna Drexler hinreißend gegeben: wahlweise als bockiges Kind, dann als dauerbetrunkenes Nervenbündel – ihrem Tom ebenso treu verbunden wie der Gier nach ungezügeltem Leben, das sie in Gestalt ihrer Jugendliebe Jay Gatsby neu zu erlangen glaubt. Warum ein steinreicher Playboy ausgerechnet dieser dauerplappernden Nervensäge hinterherläuft, blieb schon in Fitzgeralds Roman ein Geheimnis und wird auch in Wendes Inszenierung nicht aufgelöst.

Bei nur 90 Minuten Spieldauer fällt eine Menge unter den Tisch

Es muss wohl wahre Liebe sein, die diesen Gatsby antreibt. Guy Clemens findet einen beachtlichen Zugang zu dem geheimnisumwitterten Dandy, der bei ihm kein Salonlöwe in der Tradition von Leonardo DiCaprio und Robert Redford aus den Verfilmungen ist. Sein Gatsby ist ein Leisetreter, ein zaudernder Don Juan, der im kampfeslustigen Tom Buchanan (stark: Konstantin Bühler) seinen kaum zu bezwingenden Widerpart findet. Anders als in Fitzgeralds Roman beobachten wir den tragischen Ausgang dieser Ménage-à-trois nicht durch die Augen eines Erzählers: Alexander Wertmann zeigt Nick Carraway, Gatsbys einzigen Freund, als warmherzigen Grübler und dabei als eigenständige Figur.

Bei nur 90 Minuten Spiellänge fällt eine Menge unter den Tisch: Die großen Augen aus der Werbetafel fehlen ebenso wie das pulsierende grüne Licht des Leuchtturms, das so viel erzählt von Sehnsucht und ewiger Hoffnung. Sogar Gatsbys gewaltsamen Tod spart die Regisseurin aus, vielmehr setzt sie alles daran, sich nicht in Pomp und Gloria zu verlieren, sondern die Geschichte nüchtern, aber warmherzig zu erzählen. Wenig ist das nicht. Viel Applaus!

Wieder am 3. und 19. Juni. Karten: 0234 / 33 33 55 55.

-------------------------------------

Ausblick aufs Sommertheater
Auf dem Vorplatz des Bochumer Schauspielhauses laufen gerade die Vorbereitungen für das Sommertheater unter freiem Himmel: Über 30 Darsteller und eine Live-Band sind bei „Hoffen und Sehnen“ dabei, das am 18. Juni Premiere feiert. Dafür wird eine Tribüne für 400 Besucherinnen und Besucher aufgebaut. Der Hans-Schalla-Platz wird zur Bühne, das Schauspielhaus bildet die formschöne Kulisse. Regie führt Liesbeth Coltof, die in Bochum zuletzt „Die unendliche Geschichte“ auf die Bühne brachte.