Dortmund. Stahl in den Fingern und absolutes Stilgefühl dazu: Igor Levit begeisterte einmal mehr. Mit dem Orchestre de Paris spielte er jetzt in Dortmund.
Ravels choreographisches Poem „La Valse“, rauschender Todesreigen und Abgesang auf das alte Europa, wirkt vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine wie ein bedrückend aktuelles Warnzeichen. Im Konzerthaus nähert sich die Apokalypse mit verführerischer Eleganz: Statt mit Schwulst dreht sich das Orchestre de Paris mit Geistesklarheit in die fiebrig flackernden Walzerfolgen hinein.
Dirigent Manfred Honeck zeichnet das Endzeitgemälde in kubistischer Manier. Was da aus den Tiefen der Kontrabässe und Fagotte hinauf schaudert, gewinnt rauschhaften Glanz, gerät zunehmend ins Taumeln, wird von der Wucht des Schlagzeugs zersplittert. Die Bruchstücke schillern in allen Farben. Als sei das Orchester eine große Drehorgel, schickt Honeck den Schrecken in die jeweils nächste Schleife, bis die Orgie kippt. Am Schluss steht die krachende Katastrophe.
Die Bandbreite der Werke des Orchestre de Paris reichte von der Katastrophe zum Optimismus
Ungleich optimistischer klingt Gershwins Klavierkonzert. Das Orchestre de Paris stimmt einen „Strike up the Band“-Sound an, gestaltet das Werk als Collage, in der Jazz- und Blues-Anklänge sich mit flotten Rhythmen paaren. Am Konzertflügel zeigt Igor Levit sich mit allen Wassern gewaschen. Der Pianist kann sich tief in schläfrig-träge „Summertime“-Stimmungen versenken, aber auch großen Drive entwickeln, mit einer manischen Motorik, für die es einen guten Anteil Stahl in den Fingern braucht.
Ob im Poetischen oder in vollgriffigen Akkord-Kaskaden: Levit trifft den Tonfall, als sei alles bloß ein Kinderspiel. Wenn Manfred Honeck zum Abschluss Bartóks „Konzert für Orchester“ dirigiert, richtet er den Blick erneut auf das alte Europa. Bei ihm schaut das Werk nach Ungarn statt auf das amerikanische Exil des Komponisten. Vieles klingt eher weich und musikantisch als nach kantig-progressiver Moderne. Es ist eine milde Lesart, aber sie betont konsequent das Folkloristische. Der begeisterte Beifall wird mit einem üppigen „Rosenkavalier“-Walzer belohnt.