Düsseldorf. Mit dem neuen, jubelnd gefeierten Programm „Bulli“ macht sich das Düsseldorfer Kom(m)ödchen das schönste Geschenk zum 75. Geburtstag selbst.
Wenn die Kuh in den Supermarkt geht und sich einen Liter Milch kauft, „weil ich die für den Preis doch nicht selbst produzieren kann“, hat nicht nur der Irrsinn seine Spitze erreicht, sondern auch das neue Programm des Kom(m)ödchen-Ensembles Premiere: „Bulli“ heißt die Zwei-Stunden-Reise zwischen Ironiegrinsen, Entsetzenslachern und Schenkelklopfern. Sie zieht uns auf denkbar friedlich-freundlich umarmende Weise zur Rechenschaft für all die Schäden, die wir Klimasünder angerichtet haben, obwohl wir seit Jahrzehnten wissen, welche immensen Schäden all das Weltreisen, Fleischessen und Zumfensterrausheizen ist.
Und dann ist auch noch Krieg!
Also bekommt Martin Maier-Bode den ersten Szenenapplaus dafür, dass er den „FCK PTN“-Aufdruck seines T-Shirts mit den fehlenden Vokalen herausbrüllt; später wird die souverän und rollenideal aufspielende Maike Kühl den nächsten Beifallsdonner dafür einspielen, dass sie nicht nur laut wie deutlich „Der – Krieg – muss – auf – hören“ raushaut, sondern indirekt auch den Weg dahin weist: „Wir zahlen das mit Euro, die Ukrainer mit ihrem Leben!“ Anton Hofreiter („Barbie mit Vollbart“) steht als Wendehals vom Zivildienstleistenden zum Schwerstwaffenanforderer da.
Kom(m)ödchen: Ensemble-Programme als Exportschlager
Für Spitzen, Klartext-Ansagen und Witze wie diese hat das Kommödchen die „Bulli“-Premiere um einen Monat verschoben. Auch wenn sie so einen Monat zu spät kam für eine Gratulation an diese zwar sehr erwachsene, aber verblüffend jung gebliebene Institution des deutschen Nachkriegs-Kabaretts zum 75. Geburtstag. Heute kaum mehr vorstellbar, wie Kay und Lore Lorentz in der Düsseldorfer Altstadt das „Kom(m)ödchen“ aufgebaut haben, indem sie für Baumaterial ihre Leica und zwei Dutzend Silberlöffel in 36 Stangen US-Zigaretten umtauschten: Es sollte eine Komödie mit vielen Schubladen sein – „die kleine Literaten-, Maler- und Schauspielerbühne“ war der Untertitel. Ende März 1947 feierte das erste Programm Premiere, das eine Devise bis heute bleiben sollte: „Positiv dagegen“.
Für Lore Lorentz etablierten sich bald Etiketten wie „scharfzüngig“, „pointenstark“ und „bissig“; das Kom(m)ödchen war ein enorm kritischer Begleiter der Tages- und Parteipolitik, aber oft mit einer literarischen bis kulturgeschichtlichen Perspektive, anspielungsreich und elegant: „Mit der Politik des kleineren Übels sind 6000 Jahre lang die großen Übel gemacht worden.“
Thomas Freitag, Volker Pispers, Jochen Busse, Harald Schmidt, Christian Ehring
Spätestens nach dem Umzug in den betonbrutalistischen Bau der Düsseldorfer Kunsthalle 1967 (der eine Abwanderung nach Köln verhinderte) wurde das Kom(m)ödchen zur Kaderschmiede des deutschen Kabaretts, in der Ernst Hilbich, Thomas Freitag und Volker Pispers, Hugo Egon Balder, Jochen Busse, Harald Schmidt und zuletzt Christian Ehring zu großen Kleinkünstlern heranwachsen konnten.
Der heutige Chef Kay Lorentz jr. hat das Haus mit kluger, geschickter Leitung aus den Krisen der 90er-Jahre heraus und zu neuer Blüte geführt. Ensemble-Programme wie „Crash“, „Freaks“ und „Sushi“ wurden zu echten Export-Schlagern, und vielleicht fanden so vermehrt solche Orte wie Dormagen (mit einem Rock-Beauftragten), Kaarst oder sogar die verbotene Stadt („Als die Menschen sesshaft wurden, lernten einige, Bier zu brauen, die anderen zogen nach Köln“) in das neue „Bulli“-Programm, das aus den Federn von Christian Ehring, Dietmar Jacobs und Martin Maier-Bode stammt.
Alles kommt wieder: Vinyl-Platten, Abba und die SPD
Das Gerüst der Handlung ist weniger der rote Faden eines Endvierziger-Freundeskreises, der von der Kinder-Generation wegen Planetenbeschädigung verklagt wird. Es sind vielmehr die vielen Gags („Sachen aus den 70ern kommen wieder in Mode, Vinyl-Platten, Abba und dieses eine, wie heißt das noch – SPD?“) und gelegentlichen Slapsticks, die sich mehr und mehr zu einem Feuerwerk vereinen. Die kritische Botschaft, auch und gerade an das Publikum, steckt zwischen den Zeilen, im Subtext. Das ist Kabarett, wie es das Jahr 2022 braucht! Der Jubel bei der Premiere am Dienstagabend deutete an, dass es das auch mag.