Essen. Schauspieler und Kabarettist Thomas Freitag präsentiert zum 70. Geburtstag die Bilanz eines aufregenden Künstlerlebens: „Hinter uns die Zukunft“.

Der Schauspieler und Kabarettist Thomas Freitag, der am 17. Juni 70 Jahre alt wird, hat fast fünf Jahrzehnte als unerbittlicher Beobachter politischer Entwicklungen die Geschichte des Kabaretts mitgeschrieben. Wolfgang Platzeck sprach mit dem scharfsinnigen Geschichtenerzähler und glänzenden Parodisten, der gerade mit seinem ersten Buch „Hinter uns die Zukunft“ (Westend Verlag; 300 Seiten; 24 €) eine persönliche, erfrischend uneitle Bilanz eines aufregenden Künstlerlebens gezogen hat.

Man sagt Schauspielern nach, dass sie durch den Beruf auch einen Teil ihrer Kindheit bewahren. Was haben Sie gerettet?

Freitag: Dass ich mich der Ernsthaftigkeit des Lebens spielerisch stellen kann. Damit ist auch eine gewisse Naivität gemeint. Kinder sind noch ohne Arg. Das Böse wird besiegt, dann ist alles wieder gut. Was natürlich im Leben so nicht stimmt.

Das Unterhalter-Gen hatten Sie schon als Kind. Und früh war klar, dass Sie unbedingt Schauspieler werden wollten. Wann kam zu diesem Unterhalter-Gen das, was man Haltung nennt?

Ich bin in der verstaubten Adenauer-Ära in einem christlich-konservativen Elternhaus aufgewachsen. Kanzler Adenauer hatte notgedrungen beim Neustart auch Nazis ins Kabinett nehmen müssen, das konnte man nachvollziehen. Schlimm waren die Leute, die keine Einsicht zeigten nach dem Motto: Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein. Das ist mindestens so tödlich wie jetzt die Verharmlosung des Hitler-Terrors als „Vogelschiss“ in der Geschichte. Doch politisiert wurde ich erst durch Willy Brandt. Der schlug eine andere Richtung ein. Es ging nicht mehr um Kalten Krieg und Aufrüstung, sondern um Entspannung. Und um die Mitwirkung jedes Einzelnen an der Ausgestaltung der Demokratie. Das sprach uns junge Menschen an.

Ein klassischer ‘68er waren Sie aber nicht.

Dafür war ich wohl politisch noch zu unreif. Aber dank Brandt haben sich schleichende, unbestimmte Gefühle immer mehr konkretisiert.

Bewusstwerdung ist ein Prozess, der nie endet. Sie nennen das Ringen um Erkenntnis von Sachverhalten das „Credo der Kunst“.

Damit ist der Schritt weg vom personalisierenden Kabarett gemeint. Die Altvorderen, die für Richtungen standen in einer Zeit, als sich die Republik noch orientierte – das hat sich ja erledigt. Uns ist ein Wirtschaftssystem übergestülpt, aus dem niemand mehr rauskommt. Also geht das Kabarett zur Systemkritik über, und die macht vieles komplizierter. Einen Sachverhalt auf der Bühne witzig darzustellen ist anstrengender, als etwa Kohl auftreten zu lassen. Ich habe seit langem von Parodien Abstand genommen, die ohnehin nur Hilfsmittel waren, um etwas zu transportieren. Ich will sinnstiftende Sachgeschichten erzählen; der Spaß muss mit unserem Leben zu tun haben und darf nicht Selbstzweck werden.

In den 80ern haben sie in „Freitags Abend – Medienkunde für Anfänger“ viele damals absurd wirkende Entwicklungen beschworen, die längst TV-Alltag sind. Sie haben früh vor den Auswüchsen der digitalen Revolution als Gefahr für die Demokratie gewarnt. Tut es gut, so oft recht gehabt zu haben?

Nein. Der Wunsch, es möge sich zum Besseren wenden oder gar nicht erst eintreten, war immer größer. Man sieht nur so vieles kommen.

Kay und Lore Lorentz, ab 1977 Ihre Prinzipale am Düsseldorfer Kom(m)ödchen, verehren Sie als „Menschen, die im entscheidenden Moment das Richtige taten“. Wie erkennt man „das Richtige“?

Nehmen Sie die Corona-Krise. Tun wir das Richtige? Wir werden’s nur im Rückblick sehen. Hinter allem steht ja die Furcht der politischen Führung, die Dinge könnten aus dem Ruder laufen. Weil sich mit wachsender Unzufriedenheit vielleicht plötzlich eine Lawine in Richtung derer bewegt, die wir nicht wollen. Das ist die Erfahrung der Geschichte, und dem muss man von vorn herein Einhalt gebieten.

„Er ist wieder da“, sagt in Ihren Erinnerungen Ihr Lebensgefährte über die Erfolge der AfD nicht nur in Brandenburg und Sachsen. Sie erwidern: „Er war nie weg“. Ist so auch der Titel Ihrer Autobiografie zu lesen: Dass wir das, was uns schlimmstenfalls als Zukunft droht, schon einmal erlebt haben?

In der Tat war das das Hauptmotiv bei der Titelwahl. Kann es sein, dass wir wieder zurückfallen in überwunden geglaubte Zeiten? Dann ist es richtig: „Hinter uns die Zukunft“, denn wir hatten uns etwas anderes erhofft nach den Erfahrungen.