Dortmund. Einige der wenigen Werke musikalischer Weltliteratur, die am Karfreitag „zu Hause“ sind, erklang in Dortmund: Bachs „Johannes-Passion“.

Die Anrufung des Herrn klingt wie ein Aufschrei. Kein feierlich wogender Strom, sondern ein Gedränge erregter Streicherfiguren treibt dem ersten Choreinsatz entgegen. Von Beginn an setzen das Prager Barockorchester Collegium 1704 und das Collegium Vocale 1704 die „Johannes-Passion“ von Johann Sebastian Bach unter Hochspannung.

Die geht im Konzerthaus Dortmund sichtlich vom Dirigenten aus: Václav Luks, Gründer und Leiter beider Ensembles, zeichnet den Kreuzweg mit filmischer Drastik nach. In eiliger Schnittfolge geht es vom Verrat über die Verleugnung und das Verhör bis zum Volksgericht. Choräle, Arien und Rezitative verknäulen sich, stürzen einander nachgerade in die Arme.

Exzellente Interpreten beflügeln eine hochgespannte „Johannes-Passion“ im Konzerthaus Dortmund

Dass die Reflexion bei so viel Rasanz nicht unter die Räder gerät, liegt an den exzellenten Interpreten. Das Collegium Vocale 1704 ist großartig virtuos: Es formt die Choräle zu sakralen Bögen und intoniert den Volkszorn höchst variabel, von Spott und Unerbittlichkeit bis zu furioser Wut. Kein Fugato ist zu verzwickt und keine Harmonik zu raffiniert, um diesen Chor auch nur annähernd in Schwierigkeiten zu bringen. Das Orchester stützt ihn mit nicht ermüdendem Engagement.

Arien geraten zu Inseln der Ruhe, ein Pilatus mit Autorität

Als Evangelist, der Ausdruck und Textverständlichkeit souverän zu verbinden weiß, treibt Sebastian Kohlhepp die Handlung voran. Die Arien der Solistinnen geraten zu Inseln der Ruhe. Mit edel gerundetem Alt preist Henriette Gödde die erlösenden Stricke des Heilands, bevor Sophie Junker die Sopran-Arie „Ich folge Dir gleichfalls mit freudigen Schritten“ mit hingebungsvollem Jubel erfüllt.

Christian Immlers Bass gibt dem Pilatus gewichtige Autorität. Das baritonale Gentleman-Timbre des für den erkrankten Matthias Winckhler eingesprungenen Roman Hoza (Jesus) hat es ihm gegenüber nicht immer leicht. Gleichwohl gewähren seine sonoren Qualitäten Trost an einem Tag, der wie kein anderer an die Verflechtung von Leben und Leid erinnert.