Bochum. Bochums fast noch neue Museums-Chefin Noor Mertens im Interview über das Ruhrgebiet, die Aufgaben ihres Hauses und was sich dort verändern soll.
Seit etwas mehr als einem halben Jahr arbeitet Noor Mertens (37) als Chefin des Bochumer Kunstmuseums. Jens Dirksen traf sie in der ersten Ausstellung, die sie selbst verantwortet und die mit Kunst von sechs Frauen „aber keine Frauen-Ausstellung sein soll“, wie die Chefin betont. Ein Gespräch über das Revier, Veränderungen im Bochumer Museum und Lebensträume.
Frau Mertens, wie erfahren Sie Bochum?
Es ist eine Stadt, die von vielen Einwohnern geliebt wird. Ich hätte nicht gedacht, dass man in einer solchen Region noch so stark stadtbezogen ist. Sie lächeln, weil jetzt wieder das Wort „Kirchturmdenken“ fallen könnte, aber letztlich hat es auch etwas Schönes, dass sich Menschen verbunden fühlen mit der Stadt.
Die Identifikation mit dem Ruhrgebiet ist fast in demselben Maße gewachsen, in dem der Niedergang von Kohle und Stahl unaufhaltsam schien.
Ah, ja: Weil es überall stattfand, klar. Wir als Museum sind allerdings auch mehr und mehr gefordert, nicht nur über Identität, sondern auch über Diversität und Inklusion nachzudenken, und das finde ich gut. Hier hat die Arbeitsmigration eine große Rolle gespielt, heute tut es der Mangel an Arbeit. Und ja, Bochum ist eine Universitätsstadt, aber das merkt man nicht so stark. Ich hab in Utrecht studiert, das ist wirklich eine Studentenstadt.
Welche Rolle spielt das für ein Museum?
Ich begegne sehr verschiedenen Menschen hier, nicht nur dem Bildungsbürgertum: Studierenden, einfach interessierten Menschen oder Künstlern. Da war Hannover als Stadt anders, das hatte mehr etwas von Klassengesellschaft.
Spüren Sie hier, dass sie Niederländerin sind?
In erster Linie, weil ich nicht aus der Stadtverwaltung komme. Ich muss hier lernen, in einer kommunalen Einrichtung zu sein, das ist in den Niederlanden anders, da sind die meisten Museen nicht in städtischer Hand. Hier braucht man etwa für eine Stellenausschreibung unglaublich viele Dokumente. Aber das Klischee, dass die Stadtverwaltung langsam und unbeweglich ist, stimmt auch nicht, das habe ich hier anders erlebt. Der Pragmatismus hier, der mir als Niederländerin nicht fremd ist, das geht wiederum gut zusammen.
Und in Sachen Kunst?
Man spürt auch, dass es Unterschiede gibt, wie man über Kunst nachdenkt. Hier gibt es eine enorme Prägung durch den Kunsthistoriker Max Imdahl. Was toll ist, aber auch einseitig: Imdahl war sehr stark auf das Sehen fixiert, als Mittel, um Kunst zu verstehen. Das ist ein Kunstbegriff, von dem ich sagen würde, er ist überholt. Damit wird etwa konzeptuelle Kunst nicht wirklich tiefgehend wahrgenommen, der Fokus liegt dann mehr auf konkreter Kunst oder geometrischer Kunst, alles, was visuell „da ist“. Aber damit kann man nicht mehr die ganze Kunstentwicklung der letzten 30, 40 Jahre erklären. Es gibt ja auch Dinge, die sind weder Malerei noch Skulptur. Diese Breite muss man doch auch nicht nur aushalten, sondern auch wahrnehmen können.
Was soll ein Museum im 21. Jahrhundert bewirken, was soll es sein?
Das ist die große Frage. In jedem Fall soll es eine vermittelnde Institution sein. Natürlich machen wir das Museum nicht für ein Fachpublikum, und wir sind auch keine Forschungseinrichtung. Wir haben eine andere Aufgabe. Nicht, Leute zu belehren, sondern ein Ort zu sein für die Auseinandersetzung mit Kunst. Ob das sehend, partizipierend, diskutierend oder wie auch immer ist.
Heißt?
Das Publikum fordert heute auch, nicht mehr passiv zu sein, es will aktiv sein im Museum, ja Kommentare liefern und bestimmen können. Die Sammlung ist mit öffentlichen Geldern gekauft und deshalb ein Archiv für das Publikum. Solche Sammlungen sollen ja nicht die Asche aufbewahren, sondern das Feuer weitergeben, um es mit einem geflügelten Wort zu sagen. Die verschiedenen Publikumsgruppen müssen das Gefühl haben: Das ist mein Museum.
Sie waren vorher im Kunstverein Hannover, was ist der Unterschied zum Kunstmuseum Bochum?
Die Größe. Die Organisationsstruktur. Ich muss hier lernen, nicht alles selbst tun zu wollen. Ein Kunstverein ist nicht Teil der Stadtverwaltung, da kann ich sagen: Okay, ich brauche einen Beamer, dann gehe ich zum Mediamarkt und kaufe einen. Aber ich wollte auch gern in eine größere Einrichtung und nicht mehr für alles zuständig sein.
Sie haben die Sammlung des Kunstmuseums erkundet, nehme ich an?
Ich würde sagen, ich bin in der Mitte der Erkundigung. Die Sammlung ist groß, aber noch nicht systematisch digital inventarisiert. Wir sind jetzt dabei, das zu tun, um die Sammlung auf einer digitalen Plattform veröffentlichen zu können. Das soll im Laufe des nächsten Jahres abgeschlossen sein. Da wird man dann auch Werke nach ganz eigenen, beliebigen Kategorien auswählen können, etwa: Ich will alles, was rot ist.
Die Sammlung hat gerade Zuwachs bekommen?
Ja, wir haben die wichtige Sammlung von Inge Baecker bekommen, die hier in Bochum eine großartige Fluxus-Galerie hatte und bei der Flut so tragisch in Bad Münstereifel gestorben ist. Mit ihrer Sammlung hat
das Ruhrgebiet eine internationale Vernetzung bekommen, vor allem in die USA. Ansonsten ist die Sammlung des Museums sehr europäisch fokussiert, es gibt Schwerpunkte in osteuropäischer Nachkriegskunst, im Surrealismus auch.
Aber ein Museum heute muss sich doch vom enzyklopädischen Gedanken verabschieden, alle Kunst der Welt repräsentieren zu können, oder?
Es fängt schon beim Wissen über die Kunst der Welt an, schon da sind wir beschränkt. Wir müssen uns fokussieren – und Wissen von außen einbinden. Und damit vielleicht auch andere Publikumsgruppen ins Haus holen.
Was ändert sich noch im Museum?
Wir sind in Gesprächen mit Musikern und einer experimentellen Theatergruppe, wir kooperieren mit Kinos in Bochum, die Wir sind in Gesprächen mit Musikern und einer experimentellen Theatergruppe, wir kooperieren mit Kinos in Bochum, die Filme zur Kunst zeigen. Wir wollen, dass Kunstgeschichts-Studierende ein Projekt mit unserer Sammlung machen. Und eines mit der Ifak, der multikulturellen Kinder- und Jugendhilfe hier in Bochum, um nicht nur alles durch die Kunst-Brille zu sehen.
Die Ruhrkunstmuseen haben im Kulturhauptstadt-Jahr 2010 als eine Vermarktungs-Plattform begonnen. Sie sind neu dazugekommen, ist da jetzt mehr als Marketing?
Oh ja, ganz handfest zum Beispiel, wenn ich Vitrinen brauche, kann ich fragen: Wer hat welche? Wir haben jetzt über gemeinsame Depot-Möglichkeiten geredet, es gibt eine Vermittlungs-Gruppe und ein gemeinsames Ausstellungs-Projekt. Da passiert sehr viel hinter den Kulissen, und es ist sehr kollegial, da gibt es sehr, sehr wenig Konkurrenzdenken, das ist ein großes Gut!
Der Ankaufs-Etat Ihres Hauses ist sehr limitiert, wie wollen Sie damit umgehen?
Und auf der anderen Seite entwickeln sich die Preise für Kunst astronomisch. Ich halte es für eine gute Möglichkeit, private Sammlungen ans Haus zu binden, um das Spektrum zu erweitern.
Noch etwas Persönliches: Was hätten Sie gern werden wollen, wenn Sie nicht Museumsdirektorin geworden wären?
Ich wäre sehr gern Dirigentin geworden. Ein Traum, der sich vielleicht in einem zweiten Leben realisieren ließe. Ich habe Geige gelernt, aber nur Musikerin zu sein, würde mir nicht reichen, beim Dirigieren fasziniert mich die Möglichkeit der Interpretation, so ähnlich wie wenn man eine Ausstellung konzipiert.