Essen. Paul Thomas Anderson feiert in „Licorice Pizza“ die Jugend, die Liebe und das Unternehmertum. Ein Film mit viel Humor und tiefer Ernsthaftigkeit.

Junge sieht Mädchen. Der neue Film von Paul Thomas Anderson beginnt genau damit. Gary, 15, feist und selbstbewusst, muss Alana unbedingt hinterher schauen, als sie beim Termin für die neuen Schülerfotos in der High School an ihm vorbeigeht. Sie ist zwar nur die Assistentin des Fotografen und ihr Röckchen ein bisschen kürzer als nötig, aber als Gesamtkunstwerk unwiderstehlich genug, dass Gary sie anspricht und gleich mal zum Abendessen einlädt.

Dass die Angebetete zehn Jahre älter ist als er selber und für körperliche Avancen nicht zu haben ist, stört den Nachwuchsschauspieler und Jungunternehmer Gary überhaupt nicht. Erstens ist alles eine Frage der Geduld, und zweitens lässt sich auch auf reiner Freundschaftsebene allerlei gemeinschaftlich anfangen. Die Idee von der Schauspielkarriere platzt zwar schnell, aber das ist für Gary ebenso wenig ein Grund für schlechte Laune wie der Latino-Akteur, der mal einfach so Alana anbaggert und genau zu wissen scheint, dass die sich das gern gefallen lässt. Mit einer kleinen Intrige ist der Nebenbuhler flott ausgeschaltet, und in Garys Businessplan taucht ein Verkaufsgeschäft mit einer neuen, heißen Ware auf: Wasserbetten.

Zeitreise in die 1970er-Jahre

Man könnte sich nun darüber wundern, dass sich ein Teenager im Zuge der insgesamt rund zweistündigen Handlung auf allen möglichen Geschäftsfeldern tummelt und außerdem sein Herz einer Frau schenkt, die sich ebenfalls nicht daran stört, dass sie zehn Jahre älter ist. Paul Thomas Anderson hat eine Vision des Jahres 1973 entworfen, in der amerikanischer Unternehmergeist noch nicht untrennbar mit dem Streben nach Weltherrschaft in Einklang steht; wo die Hits im Kino „Kalter Hauch“ und „Leben und sterben lassen“ heißen; wo Politikern nichts wichtiger ist als ein unangreifbar keimfreies Image.

Aber anders als in den meisten seiner bisherigen Filme sind der Held, aber auch sein Umfeld und damit auch seine Herzdame, diesmal unbedingt positiv gepolt. Gary, kongenial verkörpert von Cooper Hoffman, dem Sohn des 2014 verstorbenen Oscar-Preisträgers Philip Seymour Hoffman, und Alana, gespielt von der elf Jahre älteren Alana Haim (Sängerin, Keyboarderin und Schlagzeugerin des hörenswerten Rockschwesterntrios Haim) bezeichnen sich beide als integre Personen, was sich im Zuge der Handlungswege als richtige Einschätzung erweist.

Entwaffnender Humor und Momente verstörender Ernsthaftigkeit

Sie sind das gute Amerika, das an sich glaubt und diesen Glauben finanziell und am Ende auch emotional reich belohnt. Es ist ein modernes Märchen also, zugleich ist es einer jener unverstellten, von überzogenem Ehrgeiz unbeschwerten Bildungsromane, wie sie anscheinend nur das amerikanische Kino immer wieder aus dem Ärmel schütteln kann. Die episodische Struktur mit den kleinen, präzise beobachteten Milieu- und Charakterskizzen, die traumwandlerische Balance zwischen entwaffnendem Humor und Momenten verstörender Ernsthaftigkeit reihen „Licorice Pizza“ (Lakritz Pizza) in eine Tradition, die von George Lucas‘ „American Graffiti“ über Cameron Crowes „Almost Famous“ bis Richard Linklaters „Everybody Wants Some“ reicht und immer aufs Neue unverschämt unterhaltsam anzuschauen ist.

Anders als in den Vorbildern aber hat Paul Thomas Anderson sich nicht auf persönliche Erinnerungen und Empfindungen gestützt. Sein Blick zurück ist weder verklärend noch anklagend, zugleich aber dennoch beides. Es wird gewiss kein Zufall sein, dass ausgerechnet die Vertreter des Showgeschäfts in prominenter Verkörperung (Sean Penn als Stuntakteur, Tom Waits als Regisseur und Bradley Cooper in einer Oscar-würdigen Performance als selbstgefälliger Hollywood-Produzent) karikaturesk überzeichnet sind.

An der Politur des La-La-Lands kratzen

Der schöne Schein des La-La-Lands kreiste schon immer am liebsten um sich selbst; da kann man ruhig mal an der Politur kratzen. Wenn es aber um das Wesentliche geht, ist Paul Thomas Anderson so integer wie sein Filmpärchen – echte Gefühle wollen ehrlich verdient sein.