Gelsenkirchen. Bachs „Weihnachtsoratorium“ hat Intendant Michael Schulz an Gelsenkirchens Musiktheater unter dem Titel „Jauchzet, frohlocket!“ eingerichtet.

Während die Zuschauer allmählich ihre Plätze einnehmen, und lange, bevor auf der Bühne erst einmal Hexen ihre Verwünschungsflüche ausstoßen, erzählen Menschen unterschiedlichster Couleur auf einer Großleinwand von ihrer Einstellung zum Glauben, zum Messias, zum Reich Gottes, erklären kurz ihr Verständnis von Erlösung. Die, heißt es in einer Aussage, kann nur vom Menschen selbst kommen.

Doch zunächst kommen, wie gesagt, die Hexen. Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“, das Generalintendant Michael Schulz am Musiktheater unter dem Titel „Jauchzet, frohlocket!“ eingerichtet hat, beginnt mit Carl Orff. Ein kleines Schlagwerk-Ensemble lässt dessen in den Alpen angesiedeltes Weihnachtsspiel „Ludus de nato infante mirificus“ (Das wundersame Spiel von der Geburt des Kindes) erklingen. Die heidnischen Alten singen und geifern in bayerischem Idiom, wollen die angekündigte Ankunft des Heilands unbedingt verhindern, während ein schamanengleicher Hirte mittels Zauberkristall die Fremden beobachtet, die mit einem Draht-Esel (Fahrrad) unterwegs sind.

Mit Chor, Pauken und Trompeten erklingt das lang erwartete „Jauchzet, frohlocket“

Wenn der Mann (Philipp Kranje) und die Frau (Bele Kumberger), die unschwer als – vermutlich muslimische – Flüchtlinge auszumachen sind, schließlich vom Evangelisten (Adam Temple-Smith) in die städtische Gesellschaft eingeführt werden, die wiederum zur Aufnahme der Fremden aufgefordert wird, dann erklingt mit großem Chor, mit Pauken und Trompeten das lang erwartete „Jauchzet, frohlocket“, und wir sind für kurze Zeit wirklich bei Bach. Die etablierte Gesellschaft überhäuft in einer der ersten von vielen grandiosen Massenszenen die Ankömmlinge mit Geschenken, ohne sie wirklich aufzunehmen, feiern stattdessen die Ankunft zweier anderer Kinder. Denn in Kindern überhaupt, nicht nur in dem Ungeborenen, liegt die Zukunft.

Das ist der Moment, in denen wir erstmals fünf Akteuren begegnen, die fortan ganz entscheidend zur bildmächtigen Wirkung des Abends beitragen. In der spartenübergreifenden Produktion von Musiktheater und Puppentheater geben, spielen, bewegen die Mitglieder des Puppenspielstudios nicht nur die beiden Kinder, sondern verkörpern auch wenig später in einem der aufregendsten Momente der Inszenierung den selbstherrlichen Papst „Bonifazius VIII“ als Totengräber des christlichen Glaubens.

Es spielt die Neue Philharmonie Westfalen unter Leitung von Alexander Eberle

Dann sind wir allerdings bei Dario Fo und dessen Feststellung, dass die Kirche sich längst vom Erlöser Jesus entfernt hat. Die Dramaturgie, deren religions- und gesellschaftskritische Intentionen durchaus nachvollziehbar sind und die gleichwohl krude daherkommt, bringt danach „Das Lied einer proletarischen Mutter“ von Hanns Eisler und Bertolt Brecht ins Spiel, bevor die Neue Philharmonie Westfalen unter Leitung von Alexander Eberle und der wieder prächtig aufgelegte Chor die Schlusszeilen aus „The Deer’s Cry“ von Arvo Pärt anstimmen.

Wenn nach der Pause ein Engel mit Lichterkrone erscheint und dazu der Choral „Brich an, o schönes Morgenlicht“ erklingt, wenn der Aufruf „Frohe Hirten, eilt, ach eilt“ ergeht, dann sind wir wieder fast durchgängig bei Bach, wobei nicht alles dem Weihnachtsoratorium entstammt – „Gute Nacht, o Wesen“ etwa aus „Jesu, meine Freude“. Die Puppenspieler treten wieder eindrucksvoll in Aktion, bauen dem fremden Paar ein wunderbares Zelt, spielen den Aufruf von Herodes zum „Kindermord von Bethlehem“ nach. Dann sind wir wieder bei Dario Fo.

Zum Schluss versammelt sich die geläuterte städtische Gesellschaft, um mit Bach und Kerzen geschlossen dem Bösen entgegenzutreten, und nimmt das fremde Paar freudig in ihre Gemeinschaft auf. Das Publikum, durch den zweiten Teil des dreistündigen Abends reichlich versöhnt – nun, es jauchzte und frohlockte.

Termine: 11., 17., 30.12. (jeweils 19.30 Uhr); 25.12. (18 Uhr). Karten: 0209-4097200, musiktheater-im-revier.de