Krefeld. Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld zeigt Marcel Duchamp und Joseph Beuys als „Künstler der Zukunft“. Beuys-Fotos von Ute Klophaus im von der Heydt.

Da neigt sich das große Beuys-Jahr – ein Jahrhundert nach der Ankunft des großen Kunst-Schamanen auf Erden – dem Ende zu, und ausgerechnet in seiner gern verleugneten Geburtsstadt Krefeld zeigt eine Ausstellung die Grenzen seines Genies auf. Hier wird Beuys mit der Größe von Marcel Duchamp konfrontiert. eine Begegnung zweier Kunstweltstars auf Augenhöhe, ein streitbarer Dialog, eine Konkurrenz, die alles andere als unentschieden ausgeht, auch wenn das Ergebnis, je nachdem welcher Fan-Gemeinde man angehört, für den einen oder aber den anderen ausgehen kann.

Historisch ist es ein ungleiches Rennen. Der 34 Jahre ältere Duchamp (1887-1968) durfte ja vorlegen. Mit seinen dadaistischen „Readymades“ kurz nach Beginn des 20. Jahrhunderts stellte er so trocken wie ironisch dessen Kommerzbetrieb Kunst bloß und führte das Avantgarde-Prinzip an ein vorläufiges Endes, wie es gleichzeitig Kasimir Male­witsch mit seinem „Schwarzen Quadrat“ tat. Banale Alltagsdinge wie das Urinal, die Fahrradfelge, der Flaschentrockner wurden mit dem Heiligenschein der Kunst versehen, die ihr Heil nur noch im Schein suchte, weil sie sich vom Handwerk völlig losgelöst hatte und nur noch aus Konzept bestand. Und, im Falle Duchamps, aus Witz und Irritation. Sein Schnurrbart für die „Mona Lisa“, sein zweites Ich als alles erotisierende „Rrose Sélavie“ waren Erkenntnis-Anstöße mit heiterem Antlitz. Dass er sich danach vom Kunstmachen zurückzog, dass er auf hohem Niveau Schach spielte und surrealistische Ausstellungen organisierte, war nur konsequent.

ZDF-Drehscheibe: „Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet“

Anfang der 60er-Jahre folgt ein Duchamp-Revival, 1965 die erste Duchamp-Einzelausstellung eines deutschen Museums – im Krefelder Haus Lange. Ein Jahr zuvor hatte der gerade zum Akademie-Professor für Monumental-Bildhauerei ernannte Beuys in einer Live-Sendung der „Drehscheibe“ aus dem Düsseldorfer ZDF-Studio ein Happening mit Fettecken und brauner Farbe inszeniert (da verstand sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch als Kulturträger): „Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet“.

Beuys unternimmt einen Neustart der Kunst. Als komplettes Gegenteil jener autonomen Kunst, die sich als besseres Jenseits der Gesellschaft verstand, als Gegenwelt oder höchstens als spiegelndes Korrektiv. Und gesellschaftlich nur noch als Dekor fungierte. Mit den Neo-Dadaisten der Fluxus-Bewegung versuchte er sich zunächst als Bürgerschreck erster Güte, bevor er Kunst zum Hebel der Wirklichkeitsveränderung erklärt und alle Menschen zu Künstlern, sofern sie zum Werk namens Gesellschaft etwas beizutragen haben. Beuys wandelt sich zum dauerpredigenden Kunst-Propheten.

Von der „Intuitionskiste“ bis zu „Barraque D’Dull Odde“

Das alles aber, wie die Krefelder Ausstellung sehr deutlich zeigt, mit Mitteln, die bei Duchamp entlehnt sind: Mit dadaistisch-provozierendem Witz von der Empfehlung, die Berliner Mauer aus ästhetischen Gründen um fünf Zentimeter zu erhöhen, bis zur völlig leeren „Intuitionskiste“ als hundertfach angefertigtes Auflagen-Werk. Das Prinzip, banale Alltagsgegenstände mit mehr oder weniger Witz in Kunstwerke einzubauen, sollte Beuys schließlich auf die Spitze treiben – nicht zuletzt in der raumgreifenden Installation „Barraque D’Dull Odde“ aus rohen Holzregalen mit lauter typischen Beuys-Materialien, auf die das Kaiser-Wilhelm-Museum so stolz ist.

Wo Duchamp das Kunstwerk kalt lächelnd ad absurdum geführt hat (auch in seinen tragbaren Künstler-Museen: Klappkoffer, die jeweils 69 Miniaturen der eigenen Werke enthielten), verlagert Beuys die Kunst vom Objekt auf Prozesse, um den Kapitalismus in eine humane Gesellschaft zu verwandeln, um eine ökologische Wende herbeizuführen. In Krefeld ist nun in vielfältigen, kenntnisreichen und sinnfälligen Gegenüberstellungen zu bestaunen, dass Marcel Duchamp seinen End-Punkt der Kunst im Vergleich ideenreicher, intellektueller, ja „kreativer“ bearbeitet hat – aber Beuys derjenige war, der eine weitaus größere gesellschaftliche Wirkung entfaltet hat.

Die Arbeit am Mythos Beuys von Ute Klophaus

Ute Klophaus (1940-2010)
Ute Klophaus (1940-2010) © epd | Ute Klophaus/Repro Uwe Moeller

Im Wuppertaler Museum von der Heydt ist derweil nachzuvollziehen, wie die große Fotografin Ute Klop­haus (1940-2010) Beuys’ Karriere als öffentliche Person und als verehrter Kunstwunderheiler begleitete, ja beförderte. Nach dem heute historischen „24-Stunden-Happening“ von 1965 in der Wuppertaler Galerie Parnass (auch mit Bazon Brock, Charlotte Moorman, Nam June Paik und Wolf Vostell) verfolgte sie mit der Kamera, anders als beabsichtigt, nur den weiteren Weg von Beuys. „Das Fotografieren von Aktionskunst war in den 60er-Jahren, als betrete man Neuland“, hat Ute Klophaus einmal gesagt. Ihre Fotos, hier 180 an der Zahl, sind längst ins visuelle Gedächtnis der Kunst eingegangen – und oft bessere Dokumente von Beuys-Aktionen als deren oft reliquiengleich verehrten Überreste. Aber sie stilisieren auch, sie laden auf, setzen selbst Lapidares und Banales unter Hochspannung.

Beuys war das nicht unrecht. Vor jeder Aktion benachrichtigte er Ute Klophaus – die aus ihrer subjektiven Perspektive nie ein Hehl machte, die technische Mängel wie Flusen oder grobes Korn zu Stilmitteln verarbeitete und gerissene Ränder von der bildlichen wie zeitlichen Ausschnitthaftigkeit ihrer Bilder erzählen ließ.