Frankfurt/M. Die Frankfurter Buchmesse öffnet wieder ihre Pforten, nach dem corona-bedingten Ausfall 2020. Ein Rundgang durch geisterhaft leere Gänge.
Verschwindend klein ist der Wegweiser zur Buchmesse hinter all den Plakaten fürs Corona-Testzentrum, das bis vor kurzem noch auf dem Gelände der Frankfurter Messe beheimatet war. Eine große, düstere Halle mit Flatterband und Absperrungen ist zu durchqueren, bis endlich das vorab gebuchte Ticket und der 3G-Nachweis gezückt werden dürfen. Dies ist die erste Live-Messe der Corona-Ära, nach der rein virtuellen Buchmesse 2020. Doch so leer die Gänge, die Rolltreppen auch sind, so viel roter Teppich in den nur locker möblierten Hallen auch zu sehen sein mag: Für die Verlage, die Autorinnen und Autoren, die Besucherinnen und Besucher ist dieses Wenige vor allem ein großes „Trotzdem“, das Hoffnung macht.
2000 Verlage aus 80 Ländern sind präsent, in Vor-Corona-Zeiten waren es über 7000
2000 Verlage aus 80 Ländern sind präsent, in Vor-Corona-Zeiten waren es über 7000. Das Ticket-Kontingent ist auf 25.000 pro Tag begrenzt. Zum Vergleich: 2019 kamen insgesamt 300.000 Menschen an den fünf Messetagen. Was zum Eindruck der Leere beiträgt, sind die deutlich geschrumpften Stände in den beiden Etagen der Halle 3. So sind die wichtigen deutschsprachigen Belletristik-Verlage dicht zusammengerückt: Hanser neben Suhrkamp neben Kiepenheuer&Witsch und Klett-Cotta. Und sie konzentrieren sich auf das Wesentliche: ihre Bücher; vor den Wänden vielleicht noch ein, zwei Tische. hier darf nur Platz nehmen, wer ein Zeitfenster mit einem Verlagsmitarbeiter gebucht hat, was schonmal zur Verwirrung sogt: „Wer ist denn der“, fragt eine Pressereferentin mit misstrauischem Blick auf einen älteren Herrn. Erst als er die Maske abnimmt, klärt sich die Lage: „Oh, das ist ja unser Autor!“
Dass wenige Meter entfernt an einem Stand ein fast echter, meterhoher Dino faucht, hat zweifelsfrei seine Richtigkeit: Die Kinderbuchverlage tummeln sich gewohnt bunt, ebenso der Buchhandels-Schnickschnack (Non-book im Fachjargon). Noch einmal deutlich gestiegen ist die Zahl an Selfpublishern und Software-Firmen. Aus Ungarn reiste etwa „Mozaik Education“ an: Seit zehn Jahren schon arbeitet man hier an Lernplattformen und Interaktiv-Inhalten für Schüler und Lehrer, in Zeiten von Corona gibt es das Angebot nun auf fast alle Sprachen Europas ausgeweitet. Groß präsentieren „Books on Demand“ (BoD) und Libri ihre Plattform Plureos: Was BoD in Bad Hersfeld digital druckt, kann Libri künftig über Nacht liefern.
Sogar die Fachhochschule Dortmund hat einen Stand aufgebaut
Dazwischen tummeln sich neue, ungewohnte Aussteller; Bundesländer wie Sachsen, Thüringen und Bayern werben, auch das Urlaubsland Portugal oder ein Anbieter für Tagestouren ins Erzgebirge. Und sogar die Fachhochschule Dortmund hat einen improvisiert wirkenden Stand aufgeschlagen, wirbt mit eigenen Druckwerken für Studiengänge wie Kommunikationsdesign, Film und Fotografie: „Wir wollen die Arbeiten von Studierenden zeigen und Lust aufs Studium machen“, haben sie mit weißer Kreide an eine Tafel geschrieben.
Und doch: Die große Leere drückt durchaus aufs Gemüt. „Zuerst habe ich mich gefreut, weil ich mit unseren Autorinnen und Autorin auf dem Weg zu Lesungen nicht ständig durchs Gedränge muss“, sagt eine Pressesprecherin – „aber ein bisschen geisterhaft ist es schon.“ Was das große Herbstfest der Bücher sonst auszeichnete – all die Empfänge, die Partys der Verlage – fällt nun weg: „Wir gehen mit unseren Autorinnen und Autoren essen, das war es.“ Zugleich ist der Druck hinzugekommen, das virtuelle Welt weiterhin zu bespielen, zu streamen und zu bloggen: „Da kann man immer nur hoffen, dass abends im Hotel das WLAN funktioniert“, heißt es aus einem großen Verlagshaus – auf Dauer könne man das kaum leisten.
Kanadas Gastland-Pavillon ist eine kleine Oase – und wirkt wie in alten Zeiten
„Back to Business“, so hatte es Buchmessen-Direktor Juergen Boos in einem Interview vorab formuliert, „aber noch nicht back to normal“
Fast wie immer wirkt der Gastland-Pavillon, eine kleine Oase. Kanada (das seine Präsentation von 2020 auf 2021 verschoben hatte) setzt wie viele Vorgänger ganz auf sphärische Musik und Video-Projektionen. Eine Wanderung führt entlang einer roten Linie (sicherlich der rote Erzählfaden!) durch Berg, Tal und den virtuellen Fluss der Wörter. Autorinnen und Autoren gehen auf die Besucher zu: Tritt man nahe an die Videobergwände, erzählen sie als lebensgroße Projektionen von sich und ihrer Arbeit. QR-Codes weisen den Weg zu weiterem Videomaterial auf dem eigenen Smartphone, das etwa zum Stichwort „Dichtung“ die Worte als „greifbaren Ursprung des Fühlens“ feiert und zum „Sprung über Grenzen“ ermuntert.
Wie schwierig diese Sprünge oft sind, wissen die zahlreichen freundlichen Mitarbeiterinnen, die die Wandernden leiten auf ihrer Reise ins Virtuelle: Vielleicht lässt sich hier am besten spüren, welch herausfordernden Weg die Buchbranche noch vor sich hat.