Mülheim. Der Kanadier Marc-André Hamelin ist ein Dauergast beim Klavier-Festival Ruhr. Jetzt begeisterte er erneut das Publikum in Mülheims Stadthalle.
Franz Liszt sahen Karikaturisten am Flügel schon mit bis zu acht Händen durch die Luft wirbeln. Bei Marc-André Hamelin wird man zumindest den Verdacht nicht los, dass er über eine unsichtbare Dritte verfügt. Und wenn der Dauergast beim Klavier-Festival Ruhr jetzt ein anderthalbstündiges Programm mit pianistischen Höchstschwierigkeiten samt dreier Zugaben ohne Pause hinlegte, verdiente dabei die enorme physische Kondition und psychische Konzentrationsfähigkeit gehörigen Respekt.
Aus seiner Liebe zu Raritäten und ungewöhnlichen Werkzusammenstellungen machte Hamelin auch in der Mülheimer Stadthalle keinen Hehl. Wer spielt schon C.Ph.E.Bach und Prokofjew in einem Atemzug und schickt Beethovens „Hammerklaviersonate“ die „Weiße Messe“ von Skrjabin voraus? Dass der Pianist die Kontraste nicht als Effekt einsetzt, erfordert eine Urmusikalität, mit der der Kanadier reich gesegnet ist. In einem schlichten Menuett aus der e-Moll-Suite des Bachsohns versöhnt er barocken Geist mit klassischem Charme und lässt ihm dieselbe Hingabe zuteil werden wie der perkussiven Wucht und Kaltschnäuzigkeit von Prokofjews „Sarkasmen“ – in ihren abrupten Affektwechseln an Beethoven erinnernd und mit subtilen Zauberklängen im Diskant auf Skrjabin verweisend.
Überragende gestalterische Kunst
Wie Hamelin dessen Sonate Nr. 7 zwischen impressionistischem Wogen, polyrhythmischem Verfließen und mystischer Weltentfremdung zum Klingen bringt, um andererseits Beethovens gewaltiges Opus 106 noch in rasender Vollgriffigkeit, vor allem aber einem tief ausgeloteten Adagio mit durchlebtem Ausdruck erfüllt und die Fuge ebenso atemlos wie delikat ausbreitet, spricht für seine überragende gestalterische Kunst. Da fiel der Applaus am Schluss eher bewundernd als enthusiastisch aus.