Heute erscheint das neue Coldplay-Album „Music Of The Spheres“ – eine seltsam überfrachtete, vor allem extravagante und seelenlose Enttäuschung.

Am Ende, bevor dich ein letzter Song durch- und aufatmen lässt, ist der Kopf schon längst erfüllt von Pochen. „Music Of The Spheres“, das neunte Studioalbum der vier Engländer Chris Martin, Jonny Buckland, Guy Berryman und Will Champion, lässt an einen dieser Kindergeburtstage denken, bei dem die Eltern aber mal wirklich so alle Register ziehen wollen: Es gibt einen Clown, einen Zauberer, einen DJ, eine Hüpfburg, den ganzen Spielkram, der sowieso schon im Garten rumliegt, ein Monsterbüffet mit süßem Glibberzeug, Smarties-Muffins, Burgern und Würsten, zwischendurch wird noch schnell ein Alpaka durch den Garten geschleift – und am Ende sitzt der Knirps überreizt und verstört in der Ecke, möchte am liebsten sofort den Lieblingsschlafanzug anziehen und vor allem: seine Ruhe.

Die Platte, netto nach Abzug dreier Einsprengsel aus neun Songs bestehend, überwältigt kolossal. Aber, das vorweg, sie begeistert nicht und berührt auch nicht besonders. So gut wie nichts erinnert an Coldplay des Jahres 2000, als die Band mit dem Album „Parachutes“ und Songs wie „Yellow“ voller Melancholie und lyrischer Kraft überzeugten. Die ersten beiden Platten boten Gedichte in Liedform, man schloss die etwas ungelenk wirkenden Uniabsolventen mit ihren überlebensgroßen Gefühlen sogleich ins Herz und wunderte sich höchstens ein bisschen, dass diese scheinbar so kleine Band zu einer der erfolgreichsten der Welt avancierte.

Der Erfolg mit „Viva La Vida“ und „Hymn For The Weekend“ mit Beyoncé

Doch dann begannen die Musiker, Abzweigungen zu nehmen. Nichts gegen künstlerische Weiterentwicklung, doch viele der frühen Coldplay-Fans hatten den Eindruck, dass diese zu ihren Lasten geht und wandten sich ab. Andere kamen hinzu, als Coldplay mit dem hymnischen „Viva La Vida“ 2008 ihre erste US-Nummer-Eins feierten oder sieben Jahre später auf „Hymn For The Weekend“ Beyoncé mitsingen ließen. Zuletzt, 2019, wagten sie mit dem experimentellen und introvertierten „Everyday Life“ noch einmal ein kleines besinnliches Zwischenspiel.

Doch nun packen sie nicht nur den Hammer aus, sondern alle anderen verfügbaren Werkzeuge gleich mit. Es passt, dass die vorab veröffentlichte Single „Higher Power“ ihre Premiere auf der internationalen Raumstation ISS feierte. Die Erde ist dieser Band zu eng geworden. Sie kreierte für „Music Of The Spheres“ ein imaginäres Planetensystem, das mit reichlich audiovisuellem Bohei eingeführt wurde und am 15. und 16. Oktober in der – zusammen mit Amazon Music verwirklichten – Installation „The Atmospheres“ unter anderem in Berlin begutachtet werden kann. Das aber, wenn Intro und „Higher Power“ mal verklungen sind, auch total schnell egal wird.

Hier ein bisschen The Weeknd und Van Halen, dort ein bisschen Bruce Springsteen

Stattdessen fallen der etwas hohle Pomp sowie der megamassive Einsatz von Synthesizern auf, mit denen nicht nur, aber auch das Stück „Humankind“ zugekleistert wird. Die Nummer, in der es irgendwie um die Menschlichkeit der Menschen geht, riecht ein wenig nach Plastik, erinnert an The Weeknd und lässt die Älteren aber immerhin an „Jump“ von Van Halen oder die Stadionrockphase von Bruce Springsteen denken. Seele? Eher Fehlanzeige.

Auf die Spitze aber treibt man das Collagen-artige Konzept mit „People Of The Pride“. Der Song klingt, als hätten Coldplay versucht, alle etwa 5783 Musikgenres dieser Welt in dreieinhalb Minuten zusammenzufassen. Bisschen Hard Rock, bisschen Synthie, bisschen alles, doch der Kern von Coldplay liegt unter all dem verschüttet. Ob dieses Lied nun nach dem Zufallsprinzip zusammengestückelt wurde oder komplett und detailliert durchdacht ist? Beides ist möglich. Denn der Produzent von „Music For The Spheres“ ist ein Genie. Max Martin, nicht verwandt mit Chris, war verantwortlich für „…One More Time“ von Britney Spears, „I Want It That Way“ von den Backstreet Boys oder „Shake It Off“ von Taylor Swift. Der Schwede mit Wohnsitz Los Angeles arbeitet mit mathematischen Formeln, um seinen Kompositionen und Produktionen zu maximalem Effekt, sprich kommerziellem Triumph, zu verhelfen.

Gäste wie Selena Gomez oder BTS

Auch Gäste gibt es auf dem Album, und sie machen den Anschein, als hätte man sich gezielt Zustimmung und Reichweite dazugekauft. Ex-Teenie-Star Selena Gomez singt mit Chris Martin ein vergleichsweise zurückhaltendes und ganz schönes, am Rande an „Everything I Do“ von Bryan Adams anknüpfendes, Trennungslied namens „Let Somebody Go“. Und Chis reiste sogar eigens nach Seoul, um mit den sieben K-Pop-Boys von BTS, der global gerade wohl erfolgreichsten Popband der irdischen Welt, das supereingängige, konsequent überzuckerte, doch ganz charmante „My Universe“ einzusingen. Kann man machen. In die US-Charts schoss „My Universe“ vergangene Woche übrigens direkt auf Platz Eins. Auch „Biutyful“ ist nicht bloß von der Schreibweise her originell. Chris Martin singt hier im Duett mit seiner von der Software Auto-Tune verfremdeten, megahohen, Alien-Stimme. Die Achtjährigen, so sie noch bei Bewusstsein sind, werden diesen Teil bestimmt lieben.