Bochum. Regisseur Robert Borgmann macht in Bochum „Meister und Margarita“ mit der Matthäus-Passion bekannt. In über drei Stunden zieht sich das mächtig.

Klare Ansage im Bochumer Schauspielhaus: „Schalten Sie Ihre Mobiltelefone ein. Fotografieren und telefonieren Sie, so viel Sie mögen“, rät eine Stimme dem verblüfften Publikum direkt zu Beginn. Mit dem Regisseur Robert Borgmann, der mit „Passion I und II“ sein Bochumer Debüt gibt, scheint also auch ein Hauch von Anarchie ins Theater eingezogen zu sein, und zumindest in der turbulenten ersten Stunde mag man sich gern darauf einlassen.

Da jagt eine schöne Albernheit die nächste, da wird gelacht, getanzt und geblödelt, die Kulissen fliegen, eine Orgel spielt. Doch spätestens in der zweiten Stunde stellt man sich die bange Frage, was genau hier eigentlich gerade zur Aufführung gebracht wird – und ob ein paar Striche diesem überlangen Abend nicht gutgetan hätten.

Robert Borgmann kreuzt zwei Klassiker in Bochum

„Passion I und II“ ist der Versuch, den Klassiker „Meister und Margarita“ mit der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach bekannt zu machen. Weltliteratur als Rohmasse gewissermaßen. Borgmann leiht sich aus dem Bulgakow-Roman, der gemeinhin als Parabel auf den Zerfall der russischen Gesellschaft verstanden wird, ein paar Zitate, Motive und Namen und reichert sie mit Auszügen aus Bachs Opus Magnum an – von den Schauspielern etwas schief, aber tapfer selbst gesungen.

Nebenbei wird noch eine Menge mehr durch den Wolf gedreht: vom „Leben des Brian“ bis zum Sturm auf das Capitol in Washington.

Am Tisch des Herrn ist auch der Teufel nicht fern: „Passion I und II“ mit (v.l.) Jing Xiang, Karin Moog, Pierre Bokma und Alexander Wertmann.
Am Tisch des Herrn ist auch der Teufel nicht fern: „Passion I und II“ mit (v.l.) Jing Xiang, Karin Moog, Pierre Bokma und Alexander Wertmann. © Schauspielhaus Bochum | Armin Smailovic

Realität und Fiktion greifen eineinander

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen, dürfte sich Borgmann gedacht haben und macht sich einen Spaß daraus, die Ebenen zu vermischen. Ob das alles nun in einer Nervenheilanstalt oder beim letzten Abendmahl spielt, bleibt offen. Schon in Bulgakows 600-Seiten-Wälzer sind Realität und Fiktion nie ganz auseinanderzuhalten, diese Steilvorlage nimmt der Regisseur geschickt auf.

Doch die vielen Regieeinfälle, von denen nicht wenige mit heißer Nadel gestrickt zu sein scheinen, lasten alsbald bleiern auf der Aufführung, weil inmitten des halbgaren Budenzaubers kaum ein schlüssiges Konzept zu erkennen ist. Vor allem der schier endlos lange Teil nach der Pause prüft die Geduld der Zuschauer hartnäckig.

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Großes Schauspielertheater mit Steven Scharf und Pierre Bokma

Immerhin: Die Darsteller sind elektrisierend gut. Teils auf Englisch, Niederländisch, Estnisch oder schönstem Wienerisch (es gibt Übertitel!) stellt sich das multinationale Ensemble den Herausforderungen seines nicht immer leichten Jobs. Erneut zeigt Steven Scharf, warum er zu den führenden Schauspielern auf deutschsprachigen Bühnen gehört. In seiner Doppelrolle als Meister und Pontius Pilatus gelingt ihm großes Schauspielertheater, das vor allem in den Szenen mit Pierre Bokma als Teufel mit edlem Anstrich seine Höhepunkte erlebt.

Als Margarita hält Gina Haller einen leidenschaftlichen Monolog und zieht das Seelengefängnis ihres geliebten Meisters minutenlang über die Bühne – ein imposantes Bild. Die Entdeckung des Abends ist Alexander Wertmann: Erst 24-Jährig wird dem frischgebackenen Schauspielabsolventen direkt die Rolle des Erlösers anvertraut, die er mit großer Lust am Schabernack ausfüllt. Von dem jungen Mann wird noch zu hören sein.

Viel Jubel für die Schauspieler, freundlicher Beifall fürs Regieteam.

Dauer: ca. 3 Stunden und 15 Minuten mit Pause. Wieder am 24. Oktober sowie 12. und 14. November. Karten: 0234 / 33 33 55 55.