Essen. Von Duisburg in die Welt, von der die Nazi-Zeit bis in die DDR: Eine Kino-Doku lässt Schriftsteller Walter Kaufmann aus seinem Leben erzählen.

Ein Jahrhundertzeuge, und was für einer: In die Weimarer Republik als Kind einer bitterarmen Verkäuferin im Berliner Scheunenviertel hineingeboren, der Judenverfolgung der Nazis mit Glück als Jugendlicher aus Duisburg nach England entkommen, als Schriftsteller anerkannt und hoch geschätzt, in der DDR privilegiert und verehrt, aber auch bespitzelt; und am Ende eines bis in den vergangenen April dann 97 Jahre währenden Lebens im wiedervereinten Deutschland eher im Schatten der Aufmerksamkeit, aber mit der für ihn typischen Munterkeit und Frische weiter schreibend – das war Walter Kaufmann und sein romanhaftes Leben, in dem es mit Angela Brunner auch eine bildschöne, blitzgescheite Schauspielerin und Malerin gab, die seine Frau und die Mutter seiner Kinder wurde.

Karin Kapers Kino-Dokumentation heißt Walter Kaufmann – welch ein Leben!“

Karin Kapers Kino-Dokumentation spürt diesem Biografie-Roman unter dem nahe liegenden Titel „Walter Kaufmann – welch ein Leben!“ nach, und ihr größtes Verdienst ist es, dass sie den hochbetagten Abenteurer sein Leben über weite Strecken selbst erzählen lässt. Kaufmanns sonore Stimme lässt ein bisschen an Otto Sander denken, hat aber noch den rheinisch grundierten Zungenschlag seiner Jugendjahre. Die spärlichen, aber vorhandenen historischen Filmausschnitte uns Standbilder seines Lebens sind ergänzt um Aufnahmen aus dem aktuellen Australien, Tokio, Berlin, Havanna, New York. Letztlich bleibt der Film ein bebildertes Hörspiel, was der Spannung und dem Wendungsreichtum keinen Abbruch tut.

Mit zwei Jahren wurde der kleine Jizchat Schmeidler vom wohlhabenden Duisburger Ehepaar Kaufmann adoptiert, fortan hieß er Walter und wurde von ihnen im gutbürgerlichen Duisburger Stadtteil Duissern „fast verhätschelt“, wie er sich erinnert. Der Weltkriegsoffizier, Notar und Anwalt Sally Kaufmann und seine Frau Johanna waren liebevolle Eltern; wie sie bekam auch der Schüler des Steinbart-Gymnasiums die Ausgrenzung, Diskriminierung, Verfolgung zu spüren, die nicht nur von fanatischen Nazis ausging.

Anders als ihr Sohn verpassten Vater und Mutter den Moment der Ausreise, sie wurden in Auschwitz ermordet. Als Kaufmann seine Heimatstadt in den 50er-Jahren als Globetrotter besuchte, wollte niemand mehr etwas davon wissen. Erst als Kaufmann Anfang der 90er-Jahre für seine Short Stories und Romane mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet wurde, gab es Momente der Versöhnung für Kaufmann.

Walter Kaufmanns Debüt „Stimmen im Sturm“ erschien zunächst auf Englisch

Sein Debüt „Stimmen im Sturm“ erschien zunächst auf Englisch. Es wird nicht zuletzt diese zweite Muttersprache sein, die der nach Australien Zwangsdeportierte bei vielen Aushilfsjobs und dann auch als Funktionär der Seemannsgewerkschaft erlernte, die auch seinen späteren auf Deutsch geschriebenen Büchern das rasante Tempo und die Farbigkeit im Erzählen gab. Kaufmann heuerte auch als DDR-Bürger immer wieder auf Frachtschiffen an, um die Welt zu bereisen.

Selbst seine Hochzeitsreise wollten er und seine Angela als Gäste auf einem Transporter nach Kuba verbringen. Als der Bordarzt erfuhr, dass Angela schwanger war, ließ er sie sofort wieder an Land bringen, er hatte schon eine Fehlgeburt auf hoher See erlebt. Walter Kaufmann aber blieb an Bord, heuerte sogar an, ging in Havanna an Land, wurde als Schriftsteller überall mit offenen Armen empfangen, hörte am Strand von Varadero vom Mauerbau und war noch Monate unterwegs, auch in den USA, um die dortige Bürgerrechtsbewegung mit flammenden Reportagen zu begleiten. Dass er darüber die Geburt seines ersten Kindes verpasste und seine Frau damit alleinließ, spielte keine große Rolle.

Eine biografische Rückschau, die er mit 91 Jahren veröffentlichte, trug nicht von ungefähr den Titel: „Meine Sehnsucht ist noch unterwegs: Ein Leben auf Reisen“.