Essen. Der Krimi-Erfolgsautor Max Annas führt seine Leser in die Eifel und überrascht sie in „Der Hochsitz“ mit einem ungewöhnlichen Erzählmuster.

Erst spät hat der Film- und Musikkritiker Max Annas mit dem Krimischreiben begonnen. Aber dann gleich mit einigen Paukenschlägen: mit sieben Büchern seit 2013 und fünf Deutschen Krimipreisen, und das in verschiedenen „Tonarten“. Zuerst zwei kurze Hochgeschwindigkeits-Thriller aus Südafrika, wo er zeitweise lebte, dann zwei spannende Polizeiromane („Morduntersuchungs-Kommission“, 1 und 2), in denen er die absterbende DDR (wo er nie gelebt hat) schärfer in den Blick nimmt als viele Politiker und Soziologen. Und ich würde ihm gleich noch einen Preis spendieren, und zwar für den „pfiffigsten“ Krimi der Saison.

Was er da anpackt, ist besonders ehrgeizig und knifflig: ein neuer und origineller „Eifel-Krimi“. Denn diese „Marke“ hat seit gut zwanzig Jahren Jacques Berndorf (der Ex-Journalist Michael Preute) mit seinen routiniert erzählten Storys (inzwischen 25 oder mehr) aus dem westlichsten Zipfel des Vaterlands zum Erfolg geführt, und damit auch die Welle der sogenannten Regiokrimis aus fast allen deutschen Landkreisen losgetreten.

Kreuzworträtsel, das uns zum „Mit-Ermitteln“ zwingt

Worin liegt nun aber der „Pfiff“ von Annas’ „Anti-Krimi“ aus der Eifel? Er kombiniert seinen Blick für charakteristische Details des regionalen Alltags mit einem ungewöhnlichen Erzählmuster: einem Patchwork oder Puzzle oder Kreuzworträtsel, das uns geradezu zum „Mit-Ermitteln“ zwingt.

Es gibt keine durchgehende Handlung, sondern nur Bruchstücke, und viele verschiedene Personen, die zum Teil namenlos und vorerst rätselhaft bleiben. Aber: Annas übertreibt das Verwirrspiel auch nicht, sondern hat eine privilegierte Erzählerin, die den roten Faden durch das Patchwork zieht. Das ist Susanne, ganze elf Jahre alt, die wir uns als eine clevere, aber weniger ausgeflippte Pippi Langstrumpf vorstellen dürfen.

Wer ist denn dieser Baader-Meinhof?

Mit ihrer Freundin Ulrike ergaunert sie in den Osterferien 1978 jede Menge Fußballerbildchen für ihr Album, denn in diesem Sommer ist die WM in Argentinien („Und wir werden wieder Weltmeister“, meint Bruder Michi). Die Lücken füllen sie schließlich mit den Fotos vom Fahndungsplakat, das sie in der Post von Körperich (gibt es wirklich!) geklaut haben. Wer ist denn dieser Baader-Meinhof, fragt Susann. Christian Klar kommt jedenfalls ins Album, er sieht ein bisschen aus wie Rainer Bonhof, meint Ulrike. Und ältere Krimi-und-Fußballfans wissen: Für „uns“ endete die WM mit der „Schande von Córdoba“, 1:2 gegen Österreich! Das Böse ist bekanntlich immer und überall, auch hier in „unserem Dorf“ in der Südeifel, wo die Our, ein Nebenfluss der Sauer, die Grenze zu Luxemburg bildet.

Manches, was nicht böse, aber auffällig ist, sehen die Mädels von „ihrem“ Hochsitz im Wald aus: den Herrn Bürgermeister, der sich mit Frau Söhnker auf dem Boden tummelt, oder die beiden jungen Damen, die bei ihren Schießübungen den Hochsitz splittern lassen; was sonst noch Kriminelles so vorgeht, erfahren nur wir: Schmuggel im kleinen wie im großen Maßstab (Zigaretten, Alkohol, Drogen); auch ein Bankraub mit sehr geringem Ertrag (der räuberische Bauer kann seinen Hof nicht mehr halten), sogar ein Mord auf nächtlicher Landstraße (offenbar ein Racheakt).

Ein Krimi ganz wie das Leben

Einige dieser Fäden werden am Ende verknüpft, aber beileibe nicht alle, – dies ist in bei aller Konstruiertheit ein Krimi ganz wie das Leben.

Die jungen Damen mit den Schießeisen unter der Kostümjacke kriegen übrigens einen ehrenvollen Abgang durchs Wasser der Our: Der Grenzwächter aus Luxemburg will am Sonntag schließlich noch zum Fußball. Zuletzt sind wir mit unseren Gedanken noch einmal bei der pfiffigen Susanne, heute wäre sie Mitte fünfzig. Was wohl aus ihr geworden ist?

Max Annas: „Der Hochsitz“. Rowohlt Verlag, 272 Seiten, 22 Euro.