Essen. Weil „Black Widow“ kurz nach dem Start im Streamingdienst abrufbar war, klagt Scarlett Johansson gegen Disney. Es geht um die Zukunft des Kinos.
„Schwarze Witwe“ gegen Micky Maus: Hollywood-Star Scarlett Johansson hat Disney verklagt. Der Konzern, so der Vorwurf der 36-Jährigen, habe sie betrogen, weil er den Film „Black Widow“ mit ihr in der Hauptrolle fast gleichzeitig zur Kinoveröffentlichung – gegen Zuzahlung (30 Dollar/22 Euro) – auch den Kunden des konzerneigenen Streamingdienstes Disney+ angeboten habe.
So würden ihr Millionen entgehen, weil ihre Gage – unter anderem - an das Ergebnis an der Kinokasse gekoppelt war. Das klingt zunächst so, als ginge es um Geld. Doch das tut es nur am Rande. In Wahrheit geht um die Zukunft der Filmindustrie. Und damit auch um die Zukunft des Kinos. Die gerät ins Rutschen, mal wieder.
Scarlett Johansson klagt gegen Disney
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Denn Geld haben die beiden Streit-Parteien genug: Disney gilt trotz Corona-Krise als eines der mächtigsten und wertvollsten Filmstudios auf dem Globus; und bei Scarlett Johansson regnet es auch nicht in die gute Stube rein. Sie war 2019 – dem letzten Kinojahr vor der Pandemie – die bestbezahlte Schauspielerin der Welt. Allein für den Streifen „Black Widow“, der eigentlich bereits im Frühjahr 2020 in die Kinos kommen sollte, hat sie 20 Millionen Dollar Fix-Gage bekommen. Warum also die Aufregung? Und warum ausgerechnet Johansson?
Zumindest Letzteres ist einfach zu beantworten. Die gebürtige New Yorkerin gehört zu den wenigen Menschen der Filmwelt, die es sich leisten können, die Geschäftsmethoden von Disney zu kritisieren – ihre Rolle als Superheldin ist drehbuchbedingt ohnehin beendet, für eine auskömmliche Lebensführung hat sie längst genug verdient und Rollen findet sie auch anderswo.
Wo stehen die Stars in einer sich unglaublich schnell wandelnden Filmindustrie?
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Die Antwort auf die erste Frage ist da schon schwieriger. „Johanssons Klage steht stellvertretend für alles, was in der Branche derzeit passiert“, sagt Matt Belloni, ehemaliger Redaktionsleiter des Branchenblattes The Hollywood Reporter dem Portal Entertainment Weekly. Vereinfacht gesagt geht es um die Frage, wo die Stars in einer sich unglaublich schnell wandelnden Filmindustrie künftig stehen. Corona hat diesen Wandel nicht ausgelöst, aber dramatisch beschleunigt hat.
Das Virus gab den Filmstudios die Gelegenheit, Pläne zu testen, die teils seit Jahren schon in der Schublade lagen, um der immer stärker werdenden Konkurrenz aus dem Internet zu begegnen. Streamingdienste wie Netflix oder Amazon-Prime waren zur Stelle, als die Kinos weltweit nicht oder nur mit eingeschränkten Kapazitäten öffnen durften und deren Abo-Zahlen während der Lockdowns förmlich explodierten. Auch Disney+ hat nach nur gut 18 Monaten schon die magische Schallmauer von 100 Millionen Kunden durchbrochen. Warum also sollte der Mutterkonzern warten, bis die Kinos wieder in vollem Umfang öffnen dürfen?
Auch Warner bringt „Wonder Woman 1984“ zeitgleich ins Kino und als Stream
Zumal Disney ja nicht das einzige Unternehmen ist, das so den hauseigenen Streamingdienst stärken will. Auch Warner Bros. etwa hat seine Blockbuster wie „Wonder Woman 1984“ nahezu zeitgleich zur Kino-Premiere bei „Peacock“ gestreamt, war dabei aber so schlau, aufkeimende Kritik der Darsteller durch Zahlungen in dreistelliger Millionenhöhe im Keim zu ersticken.
Erste Studios haben sich auch schon umgestellt und sind weg vom System „geringe Festgage, dafür aber Beteiligung an den Einspiel-Ergebnissen“. Stattdessen zahlen sie – zumindest den großen Stars – hohe Antrittsgagen, damit sie überhaupt zur Arbeit kommen. Wie lange ein Film dann im Kino läuft, wie schnell er auf einem Streaming-Dienst erscheint, hat den Schauspielern egal zu sein. Ein System, das Johansson offenbar nicht mittragen will, weil es ihr langfristig möglicherweise zwar mehr Geld bringen würde, aber weniger berufliche Freiheit.
Was die Studios interessiert, sind die Abonnenten
Und das ist erst der Anfang. Schon bald, heißt es, sei es gar nicht mehr so wichtig, wie viel Geld ein einzelner Film im Kino einspielt. Wichtiger sei, dass er neue Kunden zu dem Streamingdienst locke, bei dem er zu sehen sei. „Was die Studios im Moment interessiert, ist nicht unbedingt die Maximierung der Einnahmen, sondern die Maximierung der Abonnenten“, sagt Belloni. Mittelfristig, schätzen Experten, werden Schauspieler, Autoren und Regisseure umfangreiche Verträge nur noch mit einem einzigen Unternehmen abschließen, das dann auch den gesamten Produktions-, Vertriebs- und Vermarktungsprozess von Anfang bis Ende ebenso kontrolliert wie seine Stars.
Ein Konstrukt, das es in den Anfangsjahren von Hollywood so ähnlich schon einmal gab: Damals betrieben alle großen Studios eigene Kinoketten und hatten damit alles in der Hand, sie banden ihre Stars langfristig und exklusiv an sich – das ist der Zustand, vor dem sich Stars wie Scarlett Johansson grausen.
Schon Olivia de Havilland zog in den 1940er-Jahren vor Gericht – mit Erfolg
Je bedeutungsloser die Kinos für die Einspielergebnisse der Filme werden, desto mehr sind Streamingdienste mit (eigenen) Studios oder Studios mit eigenen Streaming-Diensten die bestimmenden Giganten. Das alte Studio-System von Hollywood fiel erst, als in den 1940er-Jahren die Schauspielerin Olivia de Havilland dagegen vor Gericht zog und siegte. Dadurch aufgeschreckt verbot die US-Regierung kurzerhand das „Studio-System“.
Um einen solchen systemerschütternden Effekt zu erzielen, hat Frau Johansson wohl ein paar Jahre zu früh geklagt. Aber Schwarze Witwen pflegen ja auch nicht zu warten, bis es zu spät ist.